Bokani Dyer spielt für soziales Bewusstsein und gute Vibes

15.05.2023
Foto:© Raees Hassan (Brownswood Recordings)
Mit seiner neuen Platte sucht der südafrikanische Jazzpianist einen Radiosender, der eine Nation vereinen kann. Wir sprachen mit ihm über Südafrika, Bubblegum und Brownswood.

»Lass mich nur kurz ein T-Shirt anziehen«, sagt eine kernige Stimme im Zoom-Call. »Dann mach ich gleich mein Video an.« Es raschelt. Drei Sekunden später erscheint: Bokani Dyer, Pianist, gebürtig aus Botswana und Leader seines eigenen Jazz-Trios in Johannesburg. Der 37-jährige Musiker grinst hochkant in die Handykamera. Sein Gesicht rahmt ein Bart, der mindestens seit Dyers Ankunft in New York vor einem Monat wachsen durfte. Das erste Mal seit Beginn der Pandemie sei er in dieser »verrückten Stadt«, habe einige Gigs gespielt, ein wenig Urlaub gemacht. Bald gehe es zurück nach Südafrika, seine Heimat. Fünf Stunden nach seiner Ankunft wird sein erstes Album auf Brownswood erscheinen, dem Label von Gilles Peterson.

»Radio Sechaba«, der Titel der Platte, setze sich für die Ermächtigung der Einzelnen ein, so Bokani. Das lasse sich direkt aus dem Begriff ableiten. »Sechaba« ist eine Übersetzung aus Setswana, der Amtssprache Botswanas und bedeutet »Nation«. »Für mich besteht eine Nation aus Individuen. Wenn man Radio Sechaba sagt, ist das so, als würde man einen Radiosender einschalten, der sich für den Aufbau einer Nation einsetzt.« Schließlich sei Südafrika heute mit Problemen konfrontiert, die aus seiner unbewältigten Vergangenheit rühren. »Auf dem Papier sieht es so aus, als wäre die Apartheid 1994 zu Ende gegangen«, sagt er. »Aber das stimmt nicht.«

Dass seine Musik wie ein Update von Bubblegum, der Happy Music aus den südafrikanischen Apartheid-Jahren klingt, ist für Bokani kein Widerspruch. Er zitiert Nina Simone und Wayne Shorter, der gesagt haben soll, dass man so spielen müsse, wie man sich die Welt vorstelle.

»Musik kann dazu dienen, den eigenen Schwierigkeiten zu entfliehen. Aber dabei geht es nicht nur ums Vergnügen. In meinen Texten spreche ich durchaus ernste Themen an. Mein Ansatz ist es aber, sie in good vibes zu verpacken. Ich will mit meiner Kunst einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die Probleme der Gegenwart leisten.«

Verfaulte Mandarinen und Klavierstunden unter Autodidakten

Bokani kommt 1986 in Gaborone, der Hauptstadt von Botswana, zur Welt. Sein Vater ist der Jazzsaxophonist Steve Dyer. Mit ihm zieht er 1993 nach Johannesburg. Einige Monate später finden die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika statt. »Ich erinnere mich daran, wie mein Vater von der Wahl zurückkam. Die Behörden sprühten den Leuten Tinte auf die Finger, um zu zeigen, dass sie bereits gewählt hatten. Die Tinte roch wie verfaulte Mandarinen.«

Obwohl sein Vater ein bekannter Musiker in Südafrika ist, setzt sich Bokani erst spät ans Klavier. Er sei zwar nicht dagegen gewesen, dass er ein Instrument lerne, aber er habe ihn auch nicht dazu gedrängt, sagt Bokani. Mit zwölf habe er einige Flöten-Stunden genommen. Dann sei er zurück zu seiner Mutter nach Gaborone gezogen, um die Highschool zu besuchen. Dort habe er sich mit einem Mitschüler angefreundet, der im Proberaum der Schule rumklimperte.

»In meinen Texten spreche ich durchaus ernste Themen an. Mein Ansatz ist es aber, sie in good vibes zu verpacken.«

Bokani Dyer

»Er war Autodidakt, das faszinierte mich, wir spielten zusammen. Manchmal, wenn er nicht da war, musste ich selbst rausfinden, was ich spielen will. Das war der Moment, in dem anfing, meine eigene Musik zu komponieren.«

Mitte der 2000er schreibt sich Bokani Dyer im Jazzfach der Musikuni in Kapstadt ein. Er schließt 2008 ab, gewinnt einige Preise, segelt mit seiner Jazz-House-Gruppe Soul Housing Project bis aufs Lighthouse Festival nach Kroatien, veröffentlicht Album um Album, tourt durch die Schweiz, das UK und Deutschland, gewinnt weitere Preise, schreibt sich für sein Masterstudium ein, schließt mit einer Arbeit über politische Themen in der Musik seiner Musiker:innengeneration ab.

Dass Bokani Dyer mit seinem neuen Album auf dem Label von Alleskenner Peterson landet, hat eine Vorgeschichte mit vielen Verknüpfungen. »Es war die Verbindung von Shabaka Hutchings zu Siya Mthembu von der Performance-Truppe The Brother Moves On. Da Siya Teil auch Teil von Shabakas Ancestors ist – die auf Brownswood veröffentlichten –, begann sich Gilles Peterson für die südafrikanische Jazz-Szene zu interessieren. Schließlich konnten Siya eine Compilation auf Brownswood mitgestalten. Er bat mich, einen Track beizusteuern. Das tat ich. Als ich mein Album fertig hatte, rief ich nochmal in London an. So ist es passiert.«

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts

Südafrikanischer Jazz

Unter dem Themenschwerpunkt »Südafrikanischer Jazz« fassen wir Beiträge zur Jazzmusik aus Südafrika zusammen.

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