Overmono über geteilte Gefühle und getrennte Hotelzimmer

11.05.2023
Foto:© Elliott Morgan (XL Recordings)
Overmono sind auf auf den großen Bühnen angekommen, ihr Debütalbum ist gerade erschienen. Es ist voller Hymnen. Doch was ist das eigentlich für ein Sound – und was bedingt ihn?

»Dass Overmono ein Album rausbringen, ist das größte Geschenk des Jahres«. Das schreibt ein User auf YouTube unter eines von Overmonos neuen Videos. Klingt überzogen? Man könnte auch alle anderen Comments hernehmen, die Message bleibt: Alle haben Bock auf den Sound der britischen Brüder. Was Ed und Tom Russell aus der Garage rollen, sind Songs, die an den UK-Sound von früher erinnern, aber wie die Gegenwart von elektronischer Musik klingen: sweet, sugar, candyman!  

Overmono existieren seit 2016. Damals waren Ed und Tom schon Jahre auf den Dancefloors unterwegs. Der eine produzierte als Tessela »zwischen Drum’n’Bass und Garage angelegte Beats«. Der andere verzerrte Kick Drums als Truss so lange, bis daraus »stramme Smasher« wurden. Irgendwann fühlten sich beide darauf reduziert. Overmono entstand. Seitdem erschienen ein Dutzend EPs auf ihrem eigenen Label Poly Kicks und XL Recordings. Nur ein Album fehlte – bis jetzt.

Mit »Good Lies« veröffentlichen Overmono eine Platte, die den UK-Sound der Vergangenheit einatmet, um ihn zwischen Hymnen, Hype und Vocal-Vibes der Gegenwart rauszuschnaufen. Das funktioniert so gut, dass Overmono mittlerweile auf den großen Bühnen angekommen sind. Der Festivalkalender ist voll. Der Name ragt groß auf. Zuletzt ließ man die Dobermänner, Overmonos Signature-Visuals, im Coachella Valley von der Leine.

Ihr hattet vorhin schon ein paar Interviews. Wie oft musstet ihr über Coachella sprechen?
Ed: Noch gar nicht!
Tom: Doch, haben wir! Einmal, oder?
Ed: Wirklich? 

Früher habt ihr oft in Clubs und vor ein paar hundert Leuten gespielt. Mit Overmono sind die Bühnen größer geworden.
Tom: Natürlich ist es etwas anderes, wenn man in einem Club vor 200 Leuten auflegt. Die Sache ist die: Ich liebe sowohl das Intime als auch das Große. Beides löst in mir Gefühle der Befriedigung aus. 
Ed: Obwohl die Art der Nähe, die man mit dem Publikum eingeht, völlig unterschiedlich ist. Wenn man in einem kleinen Club spielt, baut man eine persönliche Verbindung zu den Menschen vor einem auf. Wenn man auf größeren Bühnen vor Tausenden von Menschen spielt, geht es mehr um das große kollektive Erlebnis. Inzwischen prägt das unser Tun.

Wie hat sich sonst noch im Vergleich zu euren Solokarrieren verändert?
Ed: Wir hatten nie vor, uns zu verändern, im Gegenteil. Was wir hatten war das Gefühl, dass wir viel mehr geben können.
Tom: Ja, die Aufregung, ins Studio zu gehen und sich inspiriert zu fühlen von dem, was passieren wird, hat nicht nachgelassen. Alles kann passieren. Im Studio schreiben wir, was wir schreiben wollen.
Ed: Das Gleiche gilt für das Album. Wir wollten, dass es so sein darf, wie es ist. Wir haben uns nie zu viele Gedanken gemacht. 
Tom: Deshalb ist das Album eine Zusammenfassung unserer bisherigen Reise als Overmono. Es ist ein langer Weg von unserer ersten EP »Arla« bis zu unseren letzten Veröffentlichungen. Sicher, es mag ganz anders klingen als unsere frühen Arbeiten. In meinen Ohren höre ich jedoch überall starke Verbindungen.

»Man kann den schlimmsten Tag seines Lebens haben, traurig sein und trotzdem Trost in manchen Tunes finden.«

Ed Russell

Der Sound ist bunt, es gibt Vocals. Das passt in die Zeit, elektronische Musik wird poppiger.
Ed: Der Sound bewegt sich in zwei entgegengesetzte Richtungen. Die eine Richtung ist knallhart und brettert auf 140 Beats in der Minute. Die andere will Auflösung.

Mich interessiert die Auflösung: Manchmal fühlt sie sich wie nostalgische Euphorie an.
Ed: Wir sind auf der Suche nach einem bestimmten Gefühl, wenn wir Musik schreiben, ja. Es ist allerdings ziemlich schwierig, dieses Gefühl in Worte zu fassen. Es liegt sicher irgendwo zwischen Euphorie und Melancholie, aber wir wissen es immer erst, wenn wir es gefunden haben.
Tom: Wir interessieren uns dafür, Teile in unserer Musik zu finden, die die Leute auf unterschiedliche Weise auslegen können.
Ed: Die Musik, die wir gut finden, teilt diesen Ansatz. Man kann den schlimmsten Tag seines Lebens haben, traurig sein und trotzdem Trost in manchen Tunes finden. Gleichzeitig kann man sie auch hören und dabei unglaublich fühlen. Das ist, was wir mit unserer Musik auslösen wollen. 

Hat sich dieser Ansatz mit dem Älterwerden verändert? 
Ed: Ich glaube nicht, dass einer von uns zurückblickt und sich wünscht, wieder 17 zu sein.
Tom: Ich will mich mit der Musik immer weiterentwickeln. Das heißt: Ich will nicht etwas machen, was man schon vor Jahren hätte machen können. Overmono hat uns immer diese Freiheit ermöglicht. Mit unseren Solokarrieren fuhren wir uns schließlich ein wenig fest. Ich liebte zwar, was ich als Truss machen konnte, aber es war nicht das, was ich für immer machen wollte.
Ed: Als ich jünger und die ersten Male in Clubs unterwegs war, wollte ich Musik hören, bei der ich mir dachte: »Holy fuck, was ist das?«. Als ich älter wurde, änderte sich das. Ich wollte nicht nur ausflippen, sondern eine emotionale Verbindung zur Musik haben. Eine, die mich auf einer tieferen Ebene berührt. 

Tom und Ed Russell sind Overmono © Elliott Morgan (XL Recordings)

Habt man es als Künstler geschafft, wenn YouTuber anfangen, Tutorials über euren Sound zu machen?
Tom: Es gibt Tutorials über uns?
Ed: Die muss ich mir ansehen, vielleicht kann ich rausfinden, wie wir das anstellen!
Tom: Mich würde wirklich interessieren, was sie machen. Manchmal schau ich mir solche Sachen an, aber die Leute verkomplizieren die Dinge. Die Sache ist: Weder Ed noch ich denken im Studio viel nach. Klar, das müssen wir auch nicht, denn wir machen das jetzt schon eine ganze Weile. Eines der Dinge, die wir zu unserem Vorteil gelernt haben, ist jedoch, dass es keine Regeln gibt. So sehr ich YouTube-Tutorials schätze – und ich glaube wirklich, dass es ein unglaublicher Wissensschatz ist, den ich gerne gehabt hätte, als ich mit dem Produzieren anfing – es gibt eine Menge Zeug, bei dem einem die Leute sagen, wie man es machen muss. Das ist ein völlig falscher Ansatz, wenn es ums Musikmachen geht.

Eines der Tutorials nennt den Sound »Future Garage«. Schon mal gehört?
Tom: Noch nie und werde ich wahrscheinlich auch nicht mehr.
Ed: Ich erinnere mich, dass »Night Bus« eine Zeit lang auch ein Genre war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Beatport mal eine Rubrik dafür hatte. 

Viele Leute haben Overmono erst vor Kurzem entdeckt. Die brauchen etwas, woran sie sich festhalten können, oder?
Tom: Ich bin glücklich, dass die Leute bestimmte Begriffe für unseren Sound haben. Ich persönlich möchte aber nie in eine Schublade gesteckt werden oder meine Musik mit einem Genre-Tag versehen. 

»Ich genieße es, Ed am Morgen zu wecken. Ich schreie ihn an, während ich ihn filme, wie er hochschreckt.«

Tom Russell

Overmono stehen mittlerweile für eine Ästhetik. Ein Teil der Credits geht an…
Tom: Rollo Jackson.
Ed: Er filmt und fotografiert alles. Für uns ist er so etwas wie ein …
Tom: Art Director. 
Ed: Wir haben noch einen anderen Typen namens Chris Innerstrings, der die Bilder so bearbeitet, wie wir sie für die Live-Shows haben wollen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie cool es ist, die Bilder jetzt auf riesigen LED-Wänden zu sehen.

Ein Teil des Overmono-Looks besteht aus Dobermännern. Ed, du hast gesagt, dass ihr mit den Hunden etwas Klischeehaftes so darstellen wollt, wie es tatsächlich ist. 
Ed: Dobermänner haben einen schlechten Ruf. Die Leute denken, dass sie zu aggressiven Hunden abgerichtet werden und dass man ihnen die Ohren kürzt, damit sie bösartiger aussehen. In Wirklichkeit sind Dobermänner genauso lieb und verspielt wie andere Hunde. Deshalb wollen wir sie in ihrem natürlichen Zustand zeigen. Dobermänner sind schließlich verdammt majestätisch.

Besitzt du selbst welche?
Ed: Nein, irgendwann werde ich aber welche haben. Im Moment sind wir jedoch die meiste Zeit des Jahres unterwegs. Es wäre grausam, sie die ganze Zeit zu Hause zu lassen.

Ich zoome mit euch im UK. Wie lange seid ihr jetzt zu Hause?
Tom: Wir waren drei Wochen in Australien, kamen nach Hause, nahmen den Flieger nach Amerika und sind gerade erst zurückgekommen. In ein paar Tagen geht’s dann schon weiter in die Niederlande. Wir reisen viel, aber wir genießen den Ride!

Ich nehme an, ihr müsst euch kein Hotelzimmer mehr teilen, richtig?
Tom: Nicht mehr, früher haben wir das aber oft gemacht, besonders im letzten Jahr.
Ed: Das war eine… schöne Erfahrung.
Tom: Ja, ich genieße es, Ed am Morgen zu wecken. Ich schreie ihn an, während ich ihn filme, wie er hochschreckt.
Ed: Ich bin der unruhigste Schläfer, den es gibt. Meistens bin ich so nervös, dass ich schon bei der kleinsten Bemerkung aus der Haut fahre. Ich bin also froh, dass wir mittlerweile an einem Punkt angekommen sind, wo wir getrennte Hotelzimmer verlangen können. 

Schön zu sehen, wie ihr die brüderliche Liebe teilt.
Ed: Es ist die Musik, die uns zusammenbringt. Vor allem damals, als ich anfing, Musik zu machen, haben wir echt viel Zeit miteinander verbracht. Tom hat mich immer unterstützt. Ich durfte alles von ihm lernen.Tom: Inzwischen ist es umgekehrt. Ich lerne von Ed. 
Ed: Ja, wir verbringen viel Zeit auf Skype, wir sind wahrscheinlich die letzten, die das noch benutzen. 
Tom: Ed spielt mir dort seine Songideen vor, aber aus meinen Lautsprechern kommen nur seltsam verzerrte Geräusche.

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Wollt ihr mir zum Abschluss eine »good lie« erzählen?
Tom: Ich habe eine schöne Gesangstimme.
Ed: Das werdet ihr bald hören! Auf »Bby«, das letztes Jahr rauskam, hat Tom ursprünglich die Vocals gesungen. Am Ende haben wir es zwar neu aufgenommen. Wir sollten aber bei unserer Jubiläumstournee die Live-Show mit Toms Stimme spielen. 
Tom: Oh Gott, ich muss die Aufnahme finden und für immer löschen!