Zwei Sätze von Polly Jean Harvey schufen ein Meisterwerk. So zumindest der Mythos zum Album »The Boatman’s Call« von Nick Cave and the Bad Seeds. »Ich mache Schluss mit Dir. Es ist einfach vorbei.« So beschrieb es Nick Cave zwanzig Jahre nach der Trennung in seinen »Red Hand Files«. In dem Blog beantwortet er Fragen von Fans. Allerdings ließ er offen, wie sehr es sich bei dieser Darstellung um eine Inszenierung handelt. Was jedoch eindeutig ist: Die Trennung von der britischen Songwriterin PJ Harvey hinterließ einen schmerzhaften Eindruck bei Nick Cave – der jenen Schmerz in das zehnte Album »The Boatman’s Call« mit seiner Band The Bad Seeds einfließen ließ.
Kein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Vorgängers »Murder Ballads« nahmen Cave und die auf sieben Mann angewachsenen Bad Seeds das nächste Album auf. Dabei verklang das Echo auf das vorherige Album noch nicht einmal: Mit »Where the Wild Roses Grow« hatten Cave und Band zusammen mit Kylie Minogue Popgeschichte geschrieben. Die Kritik war sich einig, dass Cave mit dieser Platte den Höhepunkt seiner Selbstinszenierung als Storyteller erreichte. Literarisch, morbide, abgründig, so beschrieben fast alle großen Musikmagazine der Zeit dieses Album. Doch Cave fasste da schon den Plan, in dieser Rolle nicht weiter aufzugehen.
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Er habe schon immer eine langsame und rohe Platte machen wollen, sagte er einmal zu Jim Sclavunos. Der Drummer der Bad Seeds veröffentlichte eine Reihe von Essays zu den Alben von Cave und der Band. Darin gibt es auch die sehr ehrliche Aussage von Gitarrist Mick Harvey zu den Aufnahmen für »The Boatman’s Call«: »Im Rückblick hätte es wahrscheinlich ein Solo-Album sein sollen. Wir wussten es eigentlich schon damals.« Cave stimmte zu.
Vor allem Caves Stimme und sein Klavierspiel tragen die zwölf Songs des Albums. In »Where Do We Go Now But Nowhere?« lassen sich spärliche Drums hören, dazu in der Ferne ein paar Streichermelodien von Warren Ellis. Alles so entrückt und unaufgeregt produziert, dass sich die Texte der Songs aufdrängen. In »Black Hair« sang Cave für jeden ersichtlich von PJ Harvey: »As deep as ink and black, black as the deepest sea. The smell of her black hair upon my pillow where her head and all its black hair did rest. Today she took a train to the West.« Vor den Aufnahmen in den Sarm West Studios in London stellte sich die Frage, ob die Band überhaupt mit diesem fragilen Ansatz umgehen könne. Schließlich würden sie akzentuierter spielen müssen. Bekamen die Bad Seeds hin. Und verschwanden im Sound fast ganz hinter dem Liebeskummer ihres Frontmanns.
»The Boatman’s Call« zeigte einen Künstler, der ein Stück von sich selbst preisgab.
Allerdings hatte Cave Teile des Albums bereits vor der Trennung von PJ Harvey geschrieben. Nur jetzt versteckte er sich hinter keinen fiktionalen Geschichten mehr. »The Boatman’s Call« zeigte einen Künstler, der ein Stück von sich selbst preisgab. Das Hadern mit Gott und der Religion findet sich weiterhin als Motiv. Dieses Mal jedoch hadert eben direkt Nick Cave damit. Oder zumindest lässt er es sein Publikum glauben. Denn natürlich kann auch »The Boatman’s Call« ein großes Spiel, eine große Inszenierung sein, die bis heute anhält. Der Künstler Nick Cave muss nicht der Mensch Nick Cave sein.
Das Album »hat mich von Polly Harvey geheilt. Es veränderte auch die Art, wie ich Musik machte. Die Platte war ein künstlerischer Bruch in sich selbst, dem ich viel verdanke«, sagte Cave einmal. (Überhaupt redet und redete vor allem Cave von der Trennung. Von PJ Harvey gab es dazu keine Aussagen.) Dazu erzählte er, dass die Ereignisse sein Songwriting so vereinnahmt hätten, dass es natürlich so ein Album werden musste. Drogen, Entzugsklinik, Reue, all diese Dinge spielten mehr oder weniger offensichtlich auch eine Nebenrolle. Jedoch passten diese Erzählungen zu gut zum Rest der Künstlerbiografie.
Was auf die große Seelenschau folgte? Angst und Scham. Er habe sich nach der Veröffentlichung irgendwie »peinlich berührt« gefühlt, sagte Cave. »Ich hatte das Gefühl, dass ich zu viel preisgegeben hatte. Diese überpersönlichen Lieder erschienen mir plötzlich als nachsichtige, selbstsüchtige Verstärker dessen, was im Grunde eine gewöhnliche, alltägliche Qual war.« Das Drama habe ihn schlussendlich so angewidert, dass er dies auch in Interviews sagte. Nur lag ihm die Presse nach der Veröffentlichung von »The Boatman’s Call« am 2. März 1997 noch mehr zu Füßen. Nachdem schon »Murder Ballads« so viele positive Kritiken einsammelte, überschlug sich die Musikpresse mit Lob für »The Boatman’s Call«. Der reduzierte Sound, das Klavier, der Schmerz, die Texte!
Heute stellt sich die Sache für Cave anders dar. Die Platte sei ein notwendiger Schritt gewesen, um zu einem autobiografischen Schreiben zu finden. Was der australische Songwriter noch auf seinen aktuellen Alben wie »Skeleton Tree« pflegt. Und überhaupt seien die Songs weniger Schreie, wie er in seinem Blog schreibt, sondern eher geistige Befreiungen vom Selbst. Ob dem so ist? Es macht »The Boatman’s Call« in egal welchem Fall nicht weniger schmerzhaft großartig.