Shed – »Gerade kann jeder«

04.08.2010
Foto:Ostgut Ton
Shed entlarvt einmal mehr die rhythmische Simplizität von Techno erneut als Vorurteil

Shed hat gut Lachen. Mit dem eigenwilligen und sperrigen Shedding The Past sahnte René Pawlowitz 2008 allerorts Bestnoten ab, seine Dancefloor-Tools unter den Pseudonymen Wax und EQD sind seit Jahren Allzweckwunderwaffen in geschmackssicheren Techno-, House- und Dubstep-Sets und im Sommer 2010 schickt sich er sich mit The Traveller an, die oft diagnostizierte rhythmische Simplizität von Techno, unter Bezugnahme auf die englische Schule, zugunsten virtuoser Breakbeatakrobatik erneut als Vorurteil zu entlarven. Dabei ist gerade jene Geschmackssicherheit Pawlowitz selbst nicht in die Wiege gelegt worden. Aufgewachsen als typisches Achtzigerkind im brandenburgischen Schwedt, landeten auch jene kuhfleckigen Rave-Compilations im Pawlowitz’schen Kinderzimmer, für die BRAVO-Akneraver ihr Taschengeld auf den Kopf gehauen hatten, wie Shed vor kurzem mit einem Augenzwinkern dem Factmag zu Protokoll gab. Nicht zuletzt dank Fiedel (MMM-Mitglied) und den, damals wie heute als »Technos gutes Gewissen« zu bezeichnenden, Kollegen von Hardwax, entwickelte Pawlowitz, gerade zur Hochzeit der britischen Jungle- und Breakbeat-Phase, feuilletonistisch-kompatiblere Vorlieben. Vorlieben, die Shedding The Past zu einem solch distinktiven Trip machten und die nun in The Traveller kulminieren. Was genau ist es nun, was Shed am britischer Techno der 1990er Jahre fasziniert?: »Die Drums, die Drumloops. Die teilweise extrem kitschigen Melodien. Und vor allen Dingen wurde schon immer Wert auf Bass gelegt. Geschuldet den Dub- und Reggae-Einflüssen. Bass ist wichtig. Geradezu unerlässlich.« Dennoch verlässt sich The Traveller keineswegs auf einen Bass-Pragmatismus, sondern schreibt mit seiner an frühe Warp-Platten erinnernden Entrücktheit, alles andere als Lounge-kompatiblen Ambientschlieren und 313-Futurismus, eher am Endloskapitel »Autoren-Techno« weiter – ohne die hierfür so gerne hochgezogene Augenbraue.

»Disco-Platten samplen, Drum drunter, am Filter spielen – langweilig!«

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Finesse und Witz
Überhaupt scheinen prätentiöse Überhöhungen nicht Pawlowitz’ Sache zu sein. So sieht er in Dubstep nicht die so oft zitierte Zukunft elektronischer Tanzmusik, sondern primär eine zeitgenössische Reinkarnation von UK Jungle. Er benennt folgerichtig auch eher Carl Craigs und Kevin Saundersons Breakbeat-Exkursionen, sowie Aphex Twin, Future Sound Of London oder 808 State als Einflüsse, als den neuesten Ramadanman- oder Joy Orbison-Track. Auch die im Technokontext gerne praktizierte Akademisierung der Anonymität lehnt er ab. Hinter den schmucklosen Whitelabels der EQD- und Wax-Reihen stehe keine Agenda (à la Underground Resistance oder Kraftwerk), es handele sich – im Gegensatz zu seinen Arbeiten als Shed – um funktionale Platten für DJs. Ganz einfach. Nüchternheit dominiert auch seine Ausführungen zu The Traveller. Das neue Album solle nicht als explizites Plädoyer für die rhythmische Diversität der Insel und implizite Abkanzelung des üblichen, geraden Viervierteltakts missverstanden werden, der Grund für die charakteristische Shed-Rhythmik ist ein persönlicher: »Das Ungerade hat mir schon immer etwas besser gefallen als die gerade Bassdrum. Alleine schon die Freiheit beim Bauen eines Stückes ist viel größer und es gibt mehr Möglichkeiten wie der fertige Track endet. Und: Gerade kann jeder.« Pawlowitz’ Meinung zum aktuellen Slo-Mo-House-Phänomen verwundert vor diesem Hintergrund nicht: »Disco-Platten samplen, Drum drunter, am Filter spielen – langweilig!« Stattdessen vertreibt er sich die Zeit, neben seinen bereits thematisierten Projekten und seiner Tätigkeit bei Hardwax, lieber mit liquiden Beats à la Rustie (The Panamax Project), dubbigem Minimalismus (STP) oder Schraubstock-Techno in der Tradition von Luke Slaters Planetary Assault System (Deuce, zusammen mit Marcel Dettmann). Und wenn er dann auf die Frage, welche Platten sein letzter Kunde im Laden gekauft hätte, mit durchgenudelten Kalkbrenner-Superhits kokettiert, erkennt man leicht, dass er all dies mit einem schelmischen Grinsen tut.