»Eines Tages werden Kinder in der Lage sein, Musik zu machen, bevor sie sie erlernen. Was für eine Musik würde das sein?« Der Komponist Morton Subotnick stellte sich diese Frage in den 1960erJahren, als er gerade anfing, mit elektronischer Musik zu arbeiten. Vermutlich würde es ihn freuen zu hören, dass Kinder inzwischen ganz selbstverständlich mit Musiksoftware aufwachsen und dass einige von ihnen später sogar »richtige« Musiker werden.
Chester Raj Anand alias Lord RAJA war ein solches Kind. Der New Yorker Musiker spielte schon im zarten Alter von fünf Jahren mit seinem Bruder an Musiksoftware herum: »Wir experimentierten mit Geschwindigkeit, Tonhöhe und Abspielrichtung in Windows Sound Recorder. Ich war völlig fasziniert von den großen grünen Wellenformen und davon, wie einfach es war, Klänge zu bearbeiten.« Es scheint eine Zeit von höchst zielgerichteter Produktivität gewesen zu sein. »Wir verbrachten ganze Tage damit, seltsame Klänge im Computer aufzunehmen und Loops zu bauen. Dann brannten wir CDs mit Dutzenden von unseren Instrumentals. Wir nannten uns Good Glitch. Es war extrem nerdig.«
Schon extrem nerdig
Von seiner Nerdigkeit hat sich der heute 22-Jährige einiges bewahrt. Sein Debütalbum »A Constant Moth« steckt voll mit Klangmanipulationen, wobei Chester Anand seine Strategien über die Jahre stark verfeinert hat – unter anderem studierte er für kurze Zeit Tontechnik an der Hartford University. Seine Musik knüpft an die flirrende Quirligkeit des frühen Flying Lotus an, mit einer Mischung aus Hip Hop, Glitch und IDM, gelegentliche Ausflüge ins Footwork-Fach eingeschlossen. Aus dem Umfeld von Flying Lotus’ Brainfeeder-Label konnte Lord RAJA sogar den Rapper Jeremiah Jae für einen Song gewinnen.
»Ich bin ein Fan von ihm, seitdem ich seine MySpace-Seite entdeckt habe. Vor einigen Jahren hatte ich ihm ein paar Beats aus meiner Middle-School-Zeit über Facebook geschickt. Als ich später zufällig zu einem seiner Konzerte in London ging, spielte er dort einen meiner Tracks. Er hat mich sehr dazu ermutigt weiterzumachen.« Gemeinsam hätten sie schon fast ein komplettes Album zusammengestellt. Neben Jeremiah Jae fühlt er sich insbesondere den Brainfeeder-Künstlern Matthewdavid und PBDY verbunden.»Eines Nachts, als ich in das Leuchten meines Macbooks blickte, entstand aus diesem Fixieren – als dessen Verlängerung – eine Motte.«
Lord RAJA
Die spirituelle Dimension von Lord RAJA
Eine gewisse spirituelle Dimension findet sich ebenfalls in der Herangehensweise an seine Produktionen. Zu seinem Umgang mit Genres bemerkt er etwa leicht kryptisch: »Jeden Tag, wenn ich aufwache, habe ich den Eindruck, ein anderer Mensch zu sein. Ich frage mich, warum ich mich einer bestimmten Algorithmen-Leinwand verschreiben sollte, wenn es doch so viele zur Auswahl gibt. Ich könnte alles mit Tonband aufnehmen oder drei verschiedene Computer verwenden mit zwei oder drei unterschiedlichen Programmen pro Song. Nichts davon ist wirklich entscheidend. Es kommt darauf an, nicht zu sehr an den Dingen zu hängen.« Eine freie Haltung im Umgang mit seinem Material kann man ihm dabei allemal bescheinigen. Und selbst wenn er jeden Tag ein anderer sein sollte, hört man Lord RAJAdurchaus aus den Tracks heraus.
Das könnte auch daran liegen, dass Lord RAJA»A Constant Moth« mit einiger Regelmäßigkeit die Möglichkeiten der Granularsynthese erprobt: _»Für mich ist es die sakralste Form, um Paradoxien darzustellen. Du hast diese ganzen Klangsplitter und Mikrosekunden, die dann zu einem willkürlichen, langgezogenen Ergebnis führen. Ich möchte mich noch gründlicher damit beschäftigen. Es ist ein Klangprozess, der das Ich ausblendet.» Bei ihm jedenfalls führt das zu im besten Sinne selbstvergessenen Abstraktionen, die aber keinesfalls unpersönlich klingen
Und schließlich noch die Motte
Dann ist da noch dieser surreale Albumtitel, bei dem man sich fragt, ob er einfach einer spontanen Eingebung zu verdanken ist oder einen tieferen Sinn in sich birgt. Lord RAJA scheint sich auch hier etwas gedacht zu haben, wobei nicht ganz klar ist, ob die Motte stellvertretend für die vielen kleinen Lichtpunkte auf den Bildschirmen steht, die ein großer Teil der Menschheit täglich anstarrt. Bei Lord RAJA scheint es zumindest eine Art Schlüsselerlebnis gegeben zu haben: »Eines Nachts, als ich in das Leuchten meines Macbooks blickte, entstand aus diesem Fixieren – als dessen Verlängerung – eine Motte.« Das muss man nicht verstehen. Man sollte Lord RAJAs Musik einfach hören. Dann ergibt sich einiges von selbst.
A Portrait of New York City. Music by Lord RAJA.
Filmed and edited by Ethan Barnett