How To Dress Well ist ein schwieriger Kunde. Häufig sind seine Stücke stimmlich so fragil, dass einem der Geduldsfaden reißt, weil diese understatete Suizidalität irgendwie zu artifiziell und nicht genuin wirkt (Fremdwortquote innerhalb eines Nebensatzes erfüllt: check). Genau das Gegenteil ist der Fall auf seinem wirklich aufrecht von Trauer und Leid geplagten Cover der Pathosbombe »I Wish«. Wie der blasse Kerl hier einem verstorbenen Freund ein Denkmal baut, das ist ehrlich. Und genau das wollen wir zukünftig öfter hören.
Drexciya, Drexciya, Drexciya – alle berufen sich immer auf Detroits Aqua-Verschwörungstheoretiker und deren einzigartigen Electro-Entwurf, konsequent daran abarbeiten tut sich daran aber seltsamerweise dennoch kaum jemand, sei es aus Ehrfurcht oder mangelnder Chuzpe. GB, der manchen vielleicht noch als Teil der Sound In Color Crew bekannt sein dürfte, hat hingegen solche Bedenken nicht. Auf »Dogon« dreht er das Tempo hoch, filtert und reverbt die 808 bis sie beinahe sanft klingt, lässt die Bassline tiefseetauchen (Drexciya again) und schiebt noch hyperaktive Synthstabs nach. Das hätte auch gut auf Harnessed The Storm gepasst und ein viel größeres Kompliment kann man einem Derivat nun wirklich kaum machen.
MSMR sind ein Brooklyner Duo mit dem Blick nahe an der Tumblr-Kultur und dem Gehör für gute Pop-Musik. Was Lana Del Reys »Video Games« für 2011 war, das war »Hurricane« für 2012. Das ist vielleicht der Refrain des Jahres; das Rezept und Grund warum auch dieser Song erst ein Indie-Publikum anstatt MTViva erreichte ist, dass MSMR (wie oft bei Lana Del Rey) die luftige und eingängige Melodie mit einer dunklen Thematik konterkarieren.
To wear one’s heart on one’s sleeve: eines der schönsten englischen Idiome und auch nach »Tender Tendencies« lässt sich als Synonym hierfür online nirgendwo Terius Nash finden. Dabei wäre das langsam überfällig. Auch auf dem 1977-Bonuscut legt The-Dream furchtlos alles auf den Tisch: Geheimnisse, Unsicherheiten, Zweifel, Lügen und am Ende ist er sich auch nicht zu schade dafür um einen Rückruf zu betteln, weil doch der ganze Raum noch nach ihrem Parfüm riecht und überhaupt. Nun gut, klingt nach R&B-For-Dummies, aber so ehrlich und so gebrochen, so unsicher und gleichzeitig maskulin verarbeitet seit Jahrzehnten dennoch keiner mehr das auch musikalisch beliebteste Sujet aller Zeiten. Das wussten wir zwar alles schon vorher, aber nach etlichen Monaten ohne neues Material unseres Troubadours geriet das etwas in Vergessenheit. In diesem Sinne: schön, dass es dich gibt, Terius!
»This gon’ be the summer they come for (…) this gon’ be the summer the cops get me«. – Wir können uns ad hoc an keine paranoidere Hymne an die entspannteste Jahreszeit erinnern als KA’s reduziertes Piano-Lamento »Summer«. Im Signature Flow vorgetragen, der in seiner Zurückgenommenheit Roc Marciano wie Busta Rhymes klingen lässt, rappt die größte Post-Boom-Bap-Sensation des Jahres hier über leere Mägen, Feinde, Schüsse ins Gesicht, saure Äpfel, den Concrete Jungle und die School Of Hard Knocks. Klassische Sujets also, die man in dieser Eindringlichkeit, verbunden mit einer beeindruckenden visuellen Inszenierung, seit “Hell On Earth” selten gehört hat.
Über Juicy Js Legendenstatus im dreckigen Süden muss man keine Worte verlieren, auch darüber nicht, dass er es mühelos geschafft hat mit aktuellen Flavors Of The Month zu kollaborieren, ohne sich zum Affen zu machen. Dass er über ein Loop aus dem nach wie vor besten The Weeknd Song hingegen klingt, als hätte man dieses ganze Sizzurp-Ding nur für ihn erfunden, hingegen schon. Über das laszive Liebesbekenntnis zu Kodein-Bechern klärt Juice, dass er der Bombay schlürfende Bobby Brown mit jeder Menge leichter Damen in der Wohnung ist und sich all das verdammt großartig anfühlt. Das hat natürlich wenig mit dem hiesigen State Of Mind zu tun, aber war Rap nicht schon immer 80% Eskapismus?
Man ist ja von diesen ganzen grundsympathischen DIY-House-Weirdos mittlerweile viel gewöhnt bezüglich Eklektizismus, aber Ron Morellis L.I.E.S.-Imprint ist vielleicht das schrägste all jener neuen Ostküsten-Labels. Auf der zehneinhalbsten (sic!) Platte haben sich, so wird zumindest gemunkelt, einige bekanntere New Yorker Produzenten (Run-out groove on the A side says DAWSON, HALAL, LETKIEWICZ, PALERMO. FIRST AID: GREEN) zum fröhlich verpeilten Proggen getroffen, die Drummachines dabei immer schön im roten Bereich haltend und mit einer vage nach Madlibs Afrika-Trip klingenden Grundmelodie, über die immer wieder brachial mit Filtern, Delay, Reverb und dem ganzen Pipapo drübergewischt wird. Ich meine ja als einen der Verantwortlichen Ital ausmachen zu können, aber bisweilen fühlt man sich auch an die Ungehobeltheit eines Jamal Moss erinnert. So oder so: wir stehen auf diesen Kram. Und nennen ihn diesen Monat dann halt mal nicht Cubist House.
Mike Will Made It – neben Young Chop dieses Jahr der Go-To-Guy für die Großleinwand. Im Gegensatz zum Rudeboy aus Chicago bestach Mike Will jedoch am meisten mit zuckersüßen, multipel gefilterten Bass-Bomben für junge Goldkettchenprolls (Jeremih) oder autogetunete Emo-Dreads (Future). Neben der Übersingle Turn On The Lights ist besonders »Neva End« ein kleiner Geniestreich, gediegen im Tempo, lyrisch keine noch so ausgelutschte Trope auslassend, aber schlichtweg perfekt aufpolierter Jetztzeit-R&B. Und Terius Nash ist zum ersten Mal nicht mehr ganz so konkurrenzlos, seit Pharrell und Timbaland in ihre jeweiligen Sinnkrisen fielen.
Bei aller Liebe für die 2012 in aller Munde gefeierten Tracks, die Boddika mit Joy Orbison in der Pipeline hatte – an die aberwitzige Intensität des unter selbstbetitelten Kategorie »Acid-Funk« laufenden 303-Smashers »Acid Jackson« kamen weder Dun Dun noch Prone ran. Verschwenderisch eingeläutet mit ravigen Stabs und wenigen Drumschlägen dreht das Pendel nach genau einer Minute gen Acid. Es folgen eine halbe Minute Offzeit und blanker Wahnsinn, den Pierre und Spanky damals anno 1986 auch nicht hätten besser machen können. Der plotzliche Kurswechsel zur Geradlinigkeit macht die Verwirrung perfekt, die fordernden Hi-Hats eskalieren ohne Umwege zielgerichtet in der gesteigerten Endorphinproduktion. Uff, anthem alert!
Zugegeben: die Zeiten, in denen ein Pusha T Feature feuchte Hände und nervöse Zuckungen bei einem der sich hier verdingenden Kolumnisten auslöste, sind dank der absurden Produktivität des einen Thornton Bruders in der Post-Clipse-Ära vorbei, was jedoch vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass man an etwa fünf Tagen der Woche seinen ersten Espresso zu einem neuen Pusha T 16er trinken kann. Good times eigentlich. Wer nun konkret dafür verantwortlich ist, dass der Herr auf »This Feeling« seine Tales from Louis V and AMG zum käsig-geilsten Saxofon seit »Careless Whisper« erzählen darf, ist mir auch nach intensiverer Google-Recherche nicht bekannt. Fest steht aber, dass »This Feeling« hoffentlich endlich die Ära des Yacht Rap einläutet. Und dieser Mayalino, dessen Song das pro forma ist, darf dann zumindest die anwesenden Head Honchos mit Kaltgetränken und Snacks versorgen. Warum wohne ich eigentlich immer noch nicht in South Beach?
Seitdem Dominic Lord nicht mehr dem ASAP Mob zugehörig ist, lässt er sich seine Beats nicht mehr von Clams Casino oder ASAP Ty Beats sondern eben von Hudson Mohawke schneidern. Ansage. Dieser sorgt auf der wütenden, wenn auch äußerst schwer zu dechffrierenden Trennungshymne »Pierce«, für das passende Fundament und schneidert dem Fashionista Lord ein druckvolles Beatkorsett. Schwere Drums bohren sich über das schwebende Klassiksample und werden von einer für HudMo-typischen Casiomelodie mustergültig enthemmt. Damit die Disharmonie nicht aus dem Ruder läuft, legt Mohawke ordentlich Effekt über Lords Stimme und verleiht dessen geladenen Anklagen zusätzliche Finsternis. Nachzusehen vor allem im passenden Videoclip den Lord, weitere Verwirrung stiftend, zum Fashion-Projekt deklariert. Achja: Pusha T is killing it on the remix
Nell und Ethelwulf zerfetzen auf »Pistol Grip« ein Teena Marie Loop, im Chorus programmatisch unterstützt von gescrewten Three 6 Mafia Zitaten. Insbesondere Ethelwulf unterstreicht dabei, warum viele in ihm den im traditionellen Sinne versiertesten Rapper der Raider-Posse sehen, aber auch Nell schlägt sich mehr als achtbar. Wer Metaphysik erwartet, ist hier natürlich wieder falsch, aber das Schöne ist, dass diese ganze 2.7.5.-Chose tatsächlich jene Dynamik hat, die man der Wolf Gang immer attestieren wollte, aber selbst nicht so richtig glaubte.
Um Funktionalität ging es Actress noch nie. So überrascht es auch wenig, dass er auf »Serpent«, einem von zahllosen Geniestreichen auf seinem jüngsten Opus «R.I.P«, keine Anstalten macht uns das nach 3 Minuten unweigerlich einsetzende, vehemente Kopfnicken auf die 2 und 4 länger als 50 Sekunden zu gönnen. Nein, kaum bekennt sich dieses von düsteren Violinenstabs, seltsamen Tierlauten und einer einigermaßen steten Bassdrum durchzogene Autorentechnostück namens »Serpent« zu schwitzenden Leibern und Tanzflurkonventionen, macht Actress Schluss und geht direkt mit »Shadow From Tartarus« in eine dubbige Endzeitdystopie über. Und genau dafür lieben/schätzen wir ihn so sehr.
Es ist nicht mehr alles purpur in der Welt des Rakim Mayers, mittlerweile lebt er the good life durch die rosarote Brille. Nicht, dass dafür ein weiterer Beweis vonnöten wäre, A$AP Rocky liefert ihn auf »Goldie« dennoch ganz freiwillig. Die Vorschuss-Millionen liegen schließlich auf der Bank, mit dieser Sicherheit lässt es sich genüsslich auf einen flötigen Gute-Laune-Beat ein paar Sechzehner zum Besten geben. Aber nicht falsch verstehen: Nur weil ihm die Frauen jetzt (amtlich schnürsenkellos verziert in Zehenbekleidung aus dem Hause Martin Margielas) zu Füßen liegen (zumindest so lange bis er sie wie ein Motorboot über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale flutet), gibt er noch lange nicht seine Straßenattitüde auf und unterstreicht das – falls nötig – mit Nachdruck auch unter Einsatz seiner Glock. Ach A$AP, man muss dich einfach gern haben.
Der Versuch »Black Is Beautiful« zu kategorisieren, ging bereits an anderer Stelle einigermaßen schief. Auch das Herz des Albums, die neuneinhalb-minütige Irrfahrt Track 10 , ist schwer greifbar und noch schwerer in Worte zu fassen, Inga Copeland stammelt, haucht und nölt in bester E.S.G.-Manier über einen torkelnden Retro-Beat, der sowohl wie eine verlorene Codek-B-Seite, als auch wie Marshall Jefferson in der Reggae-Hölle klingt, immer wieder unterbrochen von fiesesten Störgeräuschen. Die bedrohliche Acid-Bassline ist stets im Begriff ihre Fesseln abzustreifen, kann sich aber nie ganz der Pierre’schen Manie hingeben. Der gesamte Track bleibt in einem seltsamen Zwischenraum, frustriert und kitzelt zugleich und am Ende wird man das Gefühl nicht los, mutwillig getäuscht worden zu sein. Sie bleiben halt Trickster, auch unter neuem Namen.
Die Haare schön wie Pocahontas, die Attitüde eines DJ Quiks und grenzenlose Wertschätzung für die goldenen Tage des Pimp-Raps: Diese Dinge haben 100s zu einem der interessantesten Rap-Emporkömmlinge 2012 gemacht. »Brick $ell Phone« ist das Highlight seines Langspiel-Debüts »Ice Cold Perm«. Unangestrengt reitet 100s den, von einem endlosen Synth-Bass getragenen, Beat (ein Umgang, den er von den Damen mit seinem Geschlechtsteil erwartet) und verbreitet seine aberwitzigen Weisheiten: Reverse game, hit her with a cold line, told her I don‘t want her pussy, yeah that really fucked her mind. Learned that from a cold mack, how to make ‘em come back, how to make ‘em run back, hanging of your sack, how to make a bitch take a bullet like the secret service, while you sit back and watch the kentucky derby. Da lacht man dann schon mal laut und wird in der Bahn strafend von seiner Ü-70-Nebensitzerin angeguckt.
Gut geklaut ist halb gewonnen. So dreist wie sich I:Cube hier jedoch bei Nikita Warrens »I need You« bedient, so folgt er großspurig im Schatten von Charlie Sheen: Always winning. Man kann es ihm nicht verübeln, es war an der Zeit diese imposanten Pianostabs wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Jede Audience dieser Welt, da brauche ich mich gar nicht weit aus dem Fenster zu lehnen, auch in den Klubs in denen die DJs einen lässigen Mix aus Reagge, Soul, Funk, Rock und Electro aus ihren Ärmeln schütteln (Sorry, insider!), springt auf diese Melodie an. Kaum vorstellbar aber, was erst einmal los ist, wenn DJ Harvey zur Peak Time mit »Piano in Paradiso« zur Messe bittet. Der Titel ist Programm. Und meinen stets über das Wetter meckernden Freunden (&Facebook-Stream), rate ich: Holt euch mit I:Cube ein bisschen Ibiza ins Haus. Powered by emotions, ihr werdet es ihm danken.
N.O.R.E. ist zurück. Einer dieser Typen, den man so gar nicht mehr auf der Rechnung hatte, bei denen man sich aber dennoch freut, sie endlich auch mal wieder zu hören. Mit Styles P und Raekwon holt sich das einstige Rap-Heavyweight auch gleich namhafte Unterstützung ins Haus. »Google That« lebt dennoch zumeist von diesem bombastischen Beat-Klon à la Neptunes 1999, den ein gewisser DJ Fricktion hier aus der MPC schleudert. Präzise Kicks treffen auf diese unverwechselbar verzerrten Synthies. So einfach geht das. History repeating. Denn wer sich erinnern kann: Mit ihrem so einfachen Rezept verhalfen Pharrell Williams und Chad Hugo dem einstigen Capone-N-Noreaga-Mitglied mit Hitsingles wie Oh No schon damals zu einer zunächst erfolgreichen Solokarriere. Der Rest ist Geschichte. Wer’s vergessen hat: Google That!
Mitte Februar. Parallel zur Entstehungsgeschichte der aktuellen Zehner-Kolumne erschien ein packender Podcast des Mannes, um den sich dieser Text gleich dreht. Eine Stunde Tribut an Hardcore Raving zum Beginn der Neunziger, in dem verschiedene Einflüsse zwischen Quadrophonia, 808 State, Derrick May, Joey Beltram (danke dafür) und auch Westbam vereinigt werden. Analog, treibend, over the top und selbstverständlich wie der Kollege Aigner und ich es am liebsten haben: Ruff, rugged und raw.
Dass der für diesen aussergewöhnlichen Mix verantwortliche mysteriöse Bintus, der offenbar mit dieser Musik sozialisiert wurde, auch selbst seit 20 Jahren Musik produziert (soviel gibt die Recherche her), bei all diesen Einflüssen (und zumindest unter diesem Pseudonym) erst in diesem Jahr damit begonnen hat, diese auch auf das schwarze Gold zu verewigen, das stimmt ein wenig traurig. Denn »Corrosion Control« ist ein nur so vor Energie strotzender Acid-House-Jam, der diese unwiderstehlichen tiefen Frequenzen herrlich unaufgeregt in den Vordergrund rückt und völlig nüchtern nach vorne presst. Seht her, ich mache Acid, der auch so klingt und mit der ersten Bassline die Assoziationskette zu schwefelnder Säure herstellt. Acid ist, auch 25 Jahre nach seiner Entstehung nicht totzukriegen. Hell yeah, und das ist auch gut so.
Fresh Touch klingt, wie M.I.A in ihren radikalsten Momenten, klingt nach Diplos Soundtrack beim Daggern im Nilpferdfluss. Manchmal hört es sich auch an, als würde Hudson Mohawke einen Boxenturm aufbauen, um damit eine Herde von Pavianen zu verärgern. »Harrar Rhytm« vereint Englands Bässe und Piepen mit den staubaufwirbelnden Rhythmen Äthiopiens. Die Zusammenarbeit von Richard Russel und Rodaidh McDonald war für uns eine der unprätentiösesten und gewagtesten Projekte des Jahres.
Wir zieren uns ja zugegebenermaßen noch etwas Kendrick Lamar jenen Gottstatus zuzusprechen, den er offensichtlich schon von 95% der schreibenden Kollegen gebilligt bekommen hat, aber dass »Bitch, Don’t Kill Me Vibe« eine verdammte Hymne ist, haben auch wir schon kapiert. Selten klangen von Selbstzweifel zerfressene Rapper derart souverän, selten suchte man hinter Poesiealbums-Sprüchen so bereitwillig nach tieferer Bedeutung, selten hatte ein Chorus eine so nonchalante Pointe. Dass K.Dot über das Aquemini meets Ridin Dirty Instrumental wie immer äußerst elegant klingt und in besagtem Chorus völlig unaufgeregt den ganz frühen Cee-Lo mimt, ist dann ein weiteres klares Indiz für den H.N.I.C.-Status vor dem wir zwei Ignoranten (Kollege Kunze mal ausgeklammert) so zurückschreckten.
Nun gut, die militante Abneigung meines Arbeitskollegen gegenüber dem süßlich-discoiden Wave-Pop der Chromatics ist wohldokumentiert und einer der Gründe, warum »Into The Black« in dieser Kolumne nicht stattfindet. Stellvertretend platzieren wir hier aber einvernehmlich gerne die böse große Schwester der Portland-Combo, namentlich Camella Lobo, deren düsteres Neo-Minimal-Wave-Projekt Tropic Of Cancer dieses Jahr mit »The One Left« ein besonders desillusioniertes Kleinod reich an diesen herrlich unpräzise klingenden Drumkits und den schwer verständlichen Untergangsfantasien von Frau Lobo hervorgebracht hat. Ach, wird das schön wenn Veronica Vasicka das im Greisenalter 2045 reissued.
2012 machte Holy Other wieder, was er am besten kann und war vor allem bei »U Now« besonders wohltuend. Ein, es muss halt wieder gesagt werden, Burial’eskes Vocalsample geistert durch die getragenen vier Minuten, die nervöse alte Drummachine torkelt zunächst zurückhaltend durch die morbide Kulisse, scheint kurzzeitig zur Ruhe zu kommen, bevor sie sich in einem verzweifelten Staccato schließlich doch ergibt. Kaum einer transportiert momentan Melancholie so uneitel wie Holy Other und allein dafür muss man ihn so – Vorsicht Zwölf Zehner Lieblingsphrase – gern haben.
Heilige Scheiße, Sting covert »I’m On Fire«? Ah, die Bridge. Warte, Bowie und Level 42 mochten Huey Lewis doch? Wie jetzt, noch etwas »Pianoman«-Pathos zum Ende? Ich bin fertig mit den Nerven, George Lewis Jr., du bist schon irgendwie der Allerallergeilste. Nicht nur, dass du die Haare im Begleitvideo zu »Run My Heart« wieder so schön hast, du bist auch narzisstisch genug um diese 80er-Larger-Than-Lifeness tatsächlich unpeinlich unzusetzen, den Motorrädern, dem gesunden Bartwuchs und dem hier geheuchelten Gefühlschaos sei Dank. Wir glauben dir ja sogar fast, dass es echt ganz schön doof ist, wenn jeden Tag 4.500 Pitchfork-Gören mit schönen Rücken vor der Twin Shadow Garage stehen, schmutzigen Sex mit dir haben wollen und du dich nicht einfach nicht verlieben kannst. Und genau dafür lieben wir dich, weil du, im Gegensatz zu den blassen Gitarrenheulsusen, wirklich so ein verdammtes Arschloch bist, wie wir es in dieser Sparte lange nicht mehr hatten. Auch wenn mich der Kolumnistenkollege hierfür steinigt: ich glaube Prince wäre stolz auf dich.
Ein blubbernder Acidakkord, opulente Breaks (da kommt wohl sein Hang zum Memphis Rap zum Vorschein), diverse Vintagesynths, nach denen wir uns ständig die Finger lecken, Strings, die nach Bedarf über die Spuren gleiten und die spielerische Gabe, Komplexität innerhalb eines so funktional aufgebauten Technotracks so greifbar zu machen und strukturell in einem Song aufgehen zu lassen: Dieser Danny Wolfers ist ein Teufelskerl! Schüttet als Legowelt oder wahlweise einem anderen seiner gefühlt 300 existierenden Synonyme einen eklektischen Track nach dem anderen aus dem Ärmel, wäre darüberhinaus – falls ihm die Zeit dazu bliebe – wohl auch der beste Innenarchitekt oder Friseur der Welt. und produziert mit »I Only Move For You« den fantastischten (im wahrsten Sinne des Wortes) Techno des Jahres. Wir lieben dich!
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