Zwölf Zehner – März 2011

03.04.2011
Foto:HHV Handels GmbH
Der März ist um, es lebe der März. Florian Aigner und Paul Okraj lassen den Monat März Revue passieren und destillieren in der neuen Kolumne __Zwölf Zehner__ die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Omar S
Here's Your Trance Now Dance
FXHE • 2010 • ab 12.99€
Diese Synths! Auf mehrere Ebenen geschichtet entwickelt sich die eine gerade in Richtung Klimax, da nimmt schon die andere Anlauf. Von der dritten ganz zu schweigen. Zusammen ergeben sie diese Melodie, diesen lupenreinen Trance, der – selbst zur falschen Zeit gespielt – für spontane ekstatische Hormonausschüttungen zu sorgen imstande ist. Dazu die ausgefeilte Drumprogrammierung, die in ihrer Komplexität stets an Masters At Work erinnert. Die kapriziösen Hi-Hats peitschen im Verbund mit Omar-S’ neu entdeckter Leidenschaft für Congas den Track kompromisslos nach vorne. Weiter, immer weiter! Und da ist schon wieder die Synth. Ein Teufelskreis. Ein wahrlich diabolischer.

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Burial, Four Tet & Thom Yorke
Ego / Mirror
Text • 2011 • ab 9.99€
Einer eh schon komplett Nüsse gehenden Fanschar in einem Monat, in dem Burial nach ewigen vier Jahren wieder eine EP veröffentlicht, Radiohead nach nicht ganz so ewigen vier Jahren The King Of Limbs vorlegen und der umtriebige Four Tet mit Pinnacles ein weiteres Sahnestück verqueren Autorentechnos programmiert, noch diese universale Wichsvorlage zu bieten, ist ganz schön krank. Yorkes nölige Trademark-Vocals über diesen so minimalen wie verspielten Beatteppich, in dem sich erst gen Ende die transzendenten Vocal-Schnipsel Burials mit dem Nachhallen des York’schen Ächzens verbinden, kann man als Beiwerk zu einem eh schon brillant arrangierten Track der Herren Hebden und Bevan rezipieren oder als Omen für eine potenzielle Revolution im Soundkosmos Radioheads. Fest steht hingegen, dass Ego elektronische Musik ist, wie sie erhabener selten produziert wird. Über dem viralen »300 Copies«-Mythos breiten wir angesichts dessen auch gerne den Mantel des Schweigens aus.

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Tyler The Creator
Goblin
XL • 2011 • ab 37.99€
Wie beginnt man eine Einordnung zu Tyler’s Yonkers, ohne auf die omnipräsente These Nasir Jones’ zu verweisen, Hip-Hop sei tot? Zugegeben: Am besten gar nicht. Nichtdestotrotz braucht das Genre alle Jahre wieder eine Auffrischung, die dieses mal in Gestalt eines zwanzigjährigen Skatergoblins aus Los Angeles daherkommt, der über furztrockene Beats seine klaustrophobischen Reime zum Besten gibt und zur Generalabrechnung mit Blogs, Medien und Sonstigem ausholt (»I’m stabbin’ any bloggin’ faggot hipster with a Pitchfork«). Ein unerklärliches Phänomen diese Wolf Gang, die ihr radikales System mit aller Wucht gegen alle anderen vorantreibt und am Ende doch Persönliches offenbart. So mündet auch auf Yonkers die Kompromisslosigkeit Tyler’s Lyrics in der shizophrenisch bekämpften Sehnsucht, seinen Vater kennenzulernen. Wir sehen es kommen und wir freuen uns drauf, wenn gegen Ende des Jahres diese Dialektik in einer Volkswagen-Werbung zu Ende gebracht wird. Wolf Gang – Golf Wang!

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Oldschoolige 808s gekoppelt an diese seltsam schwerelosen, sehr britischen Synthflächen, Sizzurp erprobte Yayo-Huldigugen, die durch ihre DJ Screw-ifizierung und mächtigem Pitchshifting in der Bridge in einen hedonistischen Hilfeschrei mutieren (»I’m so addicted. Cocaine Powder. I’m the Information. Too much.«) und Bass for days: Viel mehr brauchte es nicht um aus Sicko Cell den meist diskutierten Track von der Insel seit Footcrab zu machen. Joy Orbison soll diesen, irgendwann in absehbarer Zukunft über Swamp 81 (womit wir wieder bei Footcrab wären) erscheinenden Hysterieentfacher produziert haben und wenn dem wirklich so ist, kann und muss man an dieser Stelle Altbekanntes zu Protokoll geben: Unverschämt on fire, dieser Rotzlöffel mit dem 90210-Haarschnitt.

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Pharoahe Monch
W.A.R. (We Are Renegades)
Duck Down • 2011 • ab 10.19€
Pharoahe Monch’s neuer Epos Clap entwickelt seine Wirkung im vollen Maße erst im Verbund mit dem eigens dafür konzipierten Videoclip, der sich über mehr als zehn Minuten erstreckt und im Stile einer The Wire-Folge gehalten ist. Doch auch isoliert von der audiovisuellen Wahrnehmung bleibt ein zwingender Track, mit dem sich Monch auf seiner neuen Labelheimat Duck Down zurückmeldet. M-Phazes schleudert einen Beat aus der MPC, den Khrysis, 9th Wonder oder Marco Polo in den vergangenen Monaten nur allzu gerne produziert hätten. Claps und Lyrics sitzen wie eine Eins, mit einem Willie Hutch-Sample kann man ohnehin nur wenig falsch machen. Ganz wichtig auch die Cuts, die den DJ-Revolution-Ehrenpreis des Monats erhalten. Now clap!

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Poolside
Do You Believe?
Future Classic • 2011 • ab 9.99€
Disco. Future. Turbotito. Classic. Jeffrey. Paradise. Los Angeles. Slowmo. Nudisco. Nu-Disco. Soul. Funk. Jazz Deep. House. Summer Summertime. Anthem. Poolside. Music. Mezcal. Daytime. Analog. Synthesizer. Synth. Cosmic. Baleric. BPM. California. Groovy. Pool. Party. Poolparty. Smooth. Chill out. Wem das nach der Aufzählung der offiziellen Verschlagwortung Poolside’s Do You Believe ein paar Attribute zu viel sind, dem können wir nur entgegnen: Es könnten sogar ein bisschen mehr sein. Bitte nochmal lesen! Denn ziemlich genau in der Mitte findet sich das Wort »Anthem«, das diesen kommenden Sommerhit mustergültig erklärt, so dass es keiner epischen Sätze mehr bedarf. Solltet ihr in diesem Jahr (und auch in den nächsten!) völlig aufgelöst über die Tanzfläche der Open-Air-Disco eures Vetrauens wippen, von diesem süßlichen Song in den Bann gezogen, der zum Pop-Appeal des Electric Light Orchestra-Pianos mit einer wummernden Acidsynth kokettiert und belanglosen Lyrics abrundet, dann wisst ihr, woran ihr seid. Entkommen ist nicht.

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Rick Wilhite
Limited Japan Promo #1
Stillmusic • 2011 • ab 19.99€
Nach dem großen House-Hype der vergangenen Jahre ebbt die Welle langsam ab und wird von vielen (auch prominenten) Stimmen gefüttert, den die immer gleichen Presets und Loopschleifen, Chord-Folgen und Flächen zum Halse raushängen. Da erscheint zur richtigen Zeit Rick Wilhites Debütalbum Analog Aquarium und bietet mit Cosmic Soup Anschauungsunterricht in Sachen Drumprogrammierung (und nicht nur das!). Überhaupt ist Drumsequencing ein viel zu selten angewandtes (Haupt-)Kriterium bei der Beurteilung elektronisch produzierter (natürlich auch gesampleter) Musik. So einfach die Zutaten aus dem analogen Klangerzeuger seziert dargestellt klingen mögen: Richtig gesetzt erzeugen die passende Kickdrum, Hi-Hat und Rimshot im Zwischenraum mehr Soul als der Backkatalog deines liebsten Edit-Labels. Zugegeben: Streng genommen funktioniert natürlich auch Minimal nicht anders . Addiert man jedoch noch Wärme und komplexe Patterns, ergibt die Sache wieder Sinn und eine der Houseplatten des Jahres.

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Nachdem sich die erste mitteleuropäische Hysteriewolke in Sachen Juke verzogen hat, ist dieses so herrlich absurde Micro-Genre gerade damit beschäftigt die Spreu vom Weizen zu trennen und den Einfluss der Chicagoer Pioniere in neue Kontexte zu übersetzen. Das geht so lange gut bis Lady Gaga einen Footwork-Dub (anstatt, wie momentan Gang und Gäbe, vice versa) ordert, aber so weit sind wir ja glücklicherweise noch nicht. DJ Spinn hat als Fackelträger sowieso relativ wenig zu befürchten, vor allem auch nach diesem so dermaßen irre gechoppten, die Tempi im Sekundentakt wechselnden Soul-Fetzen LOL, in dem Spinn recht explizit den späten J Dilla zitiert und dessen Donuts vom Krankenbett in ein schwitziges Basement umquartiert.

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Panda Bear of Animal Collective
Surfers Hymn
Kompakt • 2011 • ab 6.29€
Die Kombination Actress + Panda Bear gehörte bei dem ein oder anderen hier in der Redaktion eh schon in die Kategorie »Wunschtraum«. Dementsprechend groß war die Vorfreude als Actress vor geraumer Zeit twitterte, dass er einen Remix anlässlich des neuen, bisher schon in einigen 7-Zoll-Häppchen servierten Panda-Bear-Albums anfertigen würde. Hier nun das – qua Format – gekürzte Ergebnis. Wie kein Zweiter versteht es der Brite momentan konsequent unkategorisierbar zu bleiben, weswegen es auch hier schwer fällt, die passenden Worte zu finden. Panda Bears brüchige Brian-Wilson-From-Hell-Trademark-Vocals verlieren sich in einer schwerelosen Wall-Of-Sound, in der die Einzelteile beinahe sekündlich fluktuieren, ohne dass der Track Gefahr laufen würde auseinander zu fallen. Magie, Alchemie – sucht es euch aus.

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B.H.F.V.
ET 01 - 06
Live At Robert Johnson • 2011 • ab 7.99€
Christoph Beißwenger ist einer der unterschätztesten deutschen Produzenten des Hier und Jetzt. Abseits chirurgischer Techhouse-Pfade, besser gelaunt als die Friedrichshain-Connection, produziert der Frankfurter ohne Hype-Posen präzisen und wissenden Early Nineties House (als eine Hälfte von Arto Mwambe), während er als CB Funk noch einen Gang runterschaltet und wunderbar verpeilten Deep House der entspanntesten, gleichzeitg aber doch zwingendsten, Sorte fabriziert. Nun debütiert er gemeinsam mit Live at Robert Johnson Labelmananger Oliver Hafenbauer das Projekt B.H.F.V., das sich musikgeschichtlich gute zehn Jahre vor der bisher von Beißwenger bevorzugten Ära verorten lässt, ohne sich mit epigonenhaften Fingerübungen in der Belanglosigkeit zu versenken. Im Gegenteil: besonders die A-Seite der Maxi besticht durch ein sehr druckvolles Drumprogramming, das so – wie die Kollegen von Little White Earbuds bereits richtig angemerkt haben – auch aus der Feder Siriusmos stammen könnte und in seiner unverschämten Funkiness demonstrativ auf artifizielle Genregrenzen scheißt. Die später einsetzenden käsigen Synth-Stabs mögen nicht jedermanns Sache sein, sie passen aber kontextuell so schön in diesen Track, der irgendwie alles gleichzeitig ist: funky, housy, boogieish, cheesy, bboylicious, electroid, geilomatig.

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