Review

Cindytalk

Wappinschaw

Dais • 2021

Trunken mit heißer Experimentierwut schneiden Cindytalk nun seit fast vier Jahrzehnten durch so ziemlich jeden Stil, der mit dem Post-Präfix immer wieder neue Bedeutung erlangt: Punk, Industrial, Noise Rock, Minimalismus, elektroakustischer Ambient, Improvisationen jedweder Art, you name it! In Fetzen hängt das alles an dieser Musik herunter und überdauert die Trendzyklen. Das Innenleben von Gründungsmitglied und Sängerin Cindy (aka Gordon) Sharp liegt dabei ein ums andere Mal als Schlachtlandschaft offen, in der eigene Gesetze, eigene Waffen die Deutungshoheit innehaben. Kollaborationen mit This Mortal Coil, den Cocteau Twins, Duran Duran, Somatic Responses oder Massimo Pupillo (als Becoming Animal) verhalfen Sharp und ihren wechselnden Mitstreitern zwischenzeitig zwar zu einer Art Ikonenstatus im Musikuntergrund des UK, größere Bekanntheit blieb ihren eklektischen Signaturen aber weitgehend verwehrt. Einzige Ausnahme vielleicht: »Wappinschaw« von 1994, das vorerst letzte Cindytalk-Album, dem erst gute 15 Jahre später eine Reihe elektronischer Releases via Editions Mego folgen sollten. Der Transit vom avantgardistischen Gitarrensound der späten Achtziger zum Peter Rehberg’schen Laptop-Experiment: hier schon vorhanden und so vorhersehbar unvorhersehbar wie alles an diesem Projekt. Sharps Waffenschau ist dementsprechend ein dringendes, wild um sich schlagendes Statement seelischer Unruhe, das Bipolaritäten inmitten schräger Sounds statt Songs auf die Spur geht und fieberhaft den Exit sucht. Spoiler: Er bleibt bis zum Schluss verschlossen. Egal wie und wie lange der brodelnde Endzeitpunk von »Return To Pain« oder das irre Offbeat-Ritual »Disappear« den Geist massieren, welche Szenarien das surreale Dröhnen von »Traumlose Nächte« oder die androgyne Ballade »Prince Of Lies« ihm eintätowieren – wer dieses Album einmal begriffen hat, für den bleibt es lebendige Begleitmusik der eigenen Biografie.