Immer wieder bin ich überrascht, wie poppig die Musik der norwegischen Sängerin Jenny Hval dann doch ist. Klar, man speichert sie als experimentell und ätherisch ab, doch erneut fällt mir auf, wie stark ihre Songs von Melodien durchflossen werden. Damit steht sie in einer Reihe mit anderen Göttinnen des Art-Pop: Björk, Kate Bush, Julia Holter.
Man betrachte »All Night Long«, einen großartigen Song auf ihrem neuen Album Iris Silver Mist, der fast (!) so toll ist wie der gleichnamige von Lionel Richie. Vor allem wenn Jenny Hval den Titel singt, surft sie auf einer wunderschönen Melodie. Der Song erinnert außerdem an »Reckoner«, meinen Lieblingssong von Radiohead, was ihn natürlich noch besser macht. Textlich geht es um die Sehnsucht nach Echtheit: Hval beschreibt das Unpersönliche (»It doesn’t ask me where I’m from«) und Zielorientierte (»Asking me please make a choice«) Musizieren am Computer, bezeichnet Autotune als zu langsam, wünscht sich körperliche Präsenz – die Nachwirkungen der Pandemie spielen laut eigener Aussage eine Rolle.
Schon »To Be A Rose« zeigt, wie originell sie diesen Wunsch nach Authentizität vermittelt: durch Gerüche. Zigaretten, Rosen – benannt ist das Album nach einem Duft von Maurice Roucel. Jenny Hval wird auf Iris Silver Mist zur größeren Parfümgenie als Perfume Genius und Jeremy Fragrance zusammen. Gerüche sind schwer zu beschreiben und doch existent, genau wie Musik (»You almost died, but still smell alive«). Jeder Sound auf Iris Silver Mist scheint greifbar. Oder, ähm, riechbar.

Iris Silver Mist Black Vinyl Edition