Der kanadische Komponist Marc Sabat zählt zu den Musikern, die sich für Phänomene wie »reine« oder »natürliche« Stimmung interessieren – also die Töne, die sich aus den mathematischen harmonischen Proportionen der Töne ergeben, die in der Antike von den Pythagoreern bestimmt wurden und seitdem als theoretisches Ideal für Harmonie gelten. In der musikalischen Praxis jedoch haben sich seit Johann Sebastian Bach akustische Kompromisse durchgesetzt: Die heute übliche »gleichschwebende Stimmung« ist zwar akustisch nicht rein, hat allerdings den Vorteil, dass man in ihr mühelos von einer Tonart zur nächsten wechseln kann. In seinem Zyklus »Les Duresses« hat Marc Sabat sich von einem Fragment des Kollegen Morton Feldman anregen lassen, dessen Stück für Violine als Beispiel für ein alternatives Tonsystem zu interpretieren. Bei Sabat wird aus Feldmans Skizzen daher ein Experiment mit »spekulativer Stimmung«. Die Töne scheinen instabil, auf der Suche nach einer neuen Ordnung, insistieren zugleich aber auf bestimmten winzigen Frequenzunterschieden, die Sabat sich immer wieder aneinander reiben lässt. Wie das akustische Äquivalent zu Op-Art, verschwimmen die Töne mehr und mehr beim Hören und machen dabei deutlich, dass die Relationen von Frequenzen zueinander, selbst der natürlichen, kein vollständig vorgegebenes System bilden, sondern eine Sache des Ausprobierens und Entdeckens sind.
Lucrecia Dalt
OU
Care Of Editions