Blackest Ever Black – Suche nach Entfremdung

17.01.2020
Unter Connaisseuren abgefuckter Klänge wurde Blackest Ever Black geschätzt wie kein zweites. Ende des Jahres 2019 war plötzlich Schluss. Wir blicken zurück auf ein Label, das musikalisch die 2010er Jahre bestimmte wie nur wenige andere.

Es ist stets Vorsicht geboten, wenn Labels vollmundig in einem Selbstverständnis vermeintlicher Andersartigkeit und eigenständiger Release-Politik schwelgen. Oft genug bleibt es bei der bloßen Behauptung, ohne dass ihr tatsächlich mutige, neue, unkonventionelle Veröffentlichungen folgen – echte Vorreiter ernennen sich nur selten selbst. Als Kiran Sande vor fast genau zehn Jahren Blackest Ever Black ins Leben rief, waren seine Motive daher so bescheiden wie ehrlich: »Schuld, Neid, Rache. Das waren sicher nicht die Stützpfeiler des Labels, aber seine Geburtshelfer. Es gab auch weitere Faktoren. Eigentlich ist Blackest Ever Black nichts anderes als der Kampf eines Mannes, mit dem Rauchen aufzuhören«, erinnert sich der einstige Chefredakteur vom FACT Magazine im Interview mit Resident Advisor. Zentral für Entstehung und Entwicklung des Labels waren neben Sande auch die beiden Londoner Produzenten Joe Andrews und Tom Halstead, deren mystisch verzerrter Dark Ambient als Raime von der ersten Minute an großen Eindruck auf den BEB-Gründer machte – und so auch die Kuration des Hauses mitprägte.

Obwohl im weiten Spektrum elektronischer Musik verwurzelt, spielten dabei die neuesten Entwicklungen in House, Techno und Clubmusik insgesamt zunächst kaum eine Rolle. Stattdessen ließ sich Sande sowohl von Drone und Doom Metal inspirieren, als auch vom Jungle anno 93-94 und dem grundlegenden Industrial der späten Siebziger und frühen Achtziger.

Dieses Vordringen ins Gestern und Morgen wird definiert von unkonventionellen Werken, denen bei Blackest Ever Black immer wieder ein besonderer Wert für die zunehmende Entfernung vom Mainstream und seinen Deltas eingeräumt wurde.

»Doch es waren Raime, die mich dazu bewogen tiefer und härter einzusteigen, das alles mit der zeitgenössischen Musiklandschaft zu verbinden und es dazu zu verwenden, die Gegenwart und das was noch kommt zu untersuchen. Auch wenn es vielleicht abgedroschen klingt: Die beiden erinnerten mich daran, dass Musik – vom Untergrund aufwärts – eine Zeitreise ist und du dich in beide Richtungen gleichzeitig bewegen kannst«. Dieses Vordringen ins Gestern und Morgen wird definiert von unkonventionellen Werken, denen bei Blackest Ever Black immer wieder ein besonderer Wert für die zunehmende Entfernung vom Mainstream und seinen Deltas eingeräumt wurde. Reich an kryptischen Andeutungen in Akustik und Optik, erschienen bereits in den ersten Jahren so kriminell unterschätzte Platten wie das von einem Nachtschattendelirium erzählende Raime-Debüt »Quarter Turns Over a Living Line«, Camella Lobos bislang einziges Album als Tropic Of Cancer »Restless Idylls« oder die febrile Techno-Wave-Symbiose »Through The Window« von Prurient

Die 2010er mit ihren kulturellen, politischen und ökologischen Verwerfungen, aber auch ihrer Flut an neuen Genres und fortwährender Mutationen unserer Hörgewohnheiten, der Weisen wie wir Musik wahrnehmen und konsumieren – sie schienen nach einem Untergrundlabor wie diesem zu rufen. Dabei war es eher einegewisse Langeweile als Redakteur bei FACT tagtäglich mit Promo-CDs und Links bombardiert zu werden, ohne dass signifikant frische Ideen dabei waren, die Sande erst desillusionierte und dann animierte, selber solche Ideen unter einem Dach zu vereinen. Eine Kunst des Weglassens blieb stets entscheidend in der Auswahl der Musik, die für Blackest Ever Black geeignet erschien. »So sehr ich das Wort ›Kuration‹ auch hasse – das eine Zitat, an dem ich nach wie vor festhalte, ist, dass der wichtigste Teil beim Betreiben eines Labels Exklusion statt Inklusion ist. Es geht ums ›Nein‹ sagen. Grenzen setzen.« Dass der BEB-Katalog dadurch von Anfang an eine rigorose Eigenwilligkeit vorweisen konnte und Qualität hier nicht nach den üblichen Maßstäben eruiert wurde, schien die meisten Hörer, aber auch viele Künstler nicht abzuschrecken – im Gegenteil.


Die Schallplatten von Blackest Ever Black findest du im [Webshop von HHv Records](https://www.hhv.de/shop/de/blackest-ever-black-vinyl-cd-tape/i:D2I1L26809N4S6U9)


Schnell wurde das Label Schauplatz unverhoffter Auferstehungen, wie der von Black Rain, einem 1988 in New York gegründeten Industrial-Projekt, das vor dem grandiosen »Dark Pool« fast zwanzig Jahre kein neues Studiowerk mehr vorlegte. Aber auch Lustmord, Stefan Jaworzyn oder Regis präsentierten hier nach längeren Pausen wieder neues Material, während ganz frische und ebenso unorthodoxe Namen á la Dalhous, Carla dal Forno oder Pessimist die Relevanz ihres künstlerischen Ansatzes betonten: experimentieren, suchen, wagen – das schien in den 2010ern gerade auf der Ebene kantig synthetisierter Sounds kaum irgendwo freimütiger möglich als bei Blackest Ever Black. Vorläufiger Höhepunkt: Die »Five wretched years of Blackest Ever Black«-Labelnacht am 30. Oktober 2015 im Berghain, während der Raime, Prurient, Tropic Of Cancer, Regis, Felix K und Diät bis in die späten Morgenstunden für unvergessliche Shows zwischen Großstadtparanoia, Endzeitstimmung und künstlerischer Verausgabung sorgten – ein Level an Immersion, das Label und Etablissement gleichermaßen gerecht wurde.

In London geboren, in Berlin aufgewachsen und später erneut zurück nach London gezogen, profilierte sich das schwärzeste Schwarz recht schnell als Katalysator sensorischer Subversion in einer sich immer weiter ausfächernden Szene. Nicht nur einzelne phänomenale ProduzentInnen kündeten davon. Insbesondere hochkarätig besetzte Labelsampler vom Kaliber »Scripts Of The Pageant« (u.a. mit Caroline K, Andrew Liles, Death In June, Tropic Of Cancer, Prurient), »The Disappointment Engine« (mit Jon Brooks, The Shadow Ring, The Threshold Houseboys Choir, Alberich, Ramleh) oder »I Can’t Give You The Life You Want« (Tarquin Manek, Bremen, Cut Hands, Secret Boyfriend) verwiesen auf die Offenheit

»Gibt es aufregendere Momente im Leben als die zwischen dem Kennenlernen und dem letztlichen Hören einer interessanten Platte?«

gegenüber dem Transgressiven, für das der 1983 geborene Labelchef Sande seit frühester Jugend eine Schwäche hatte. Nicht zuletzt deshalb, weil er während der Neunziger mit der britischen Musikpresse aufwuchs, die in Magazinen wie Melody Maker, Mojo, Select und The Face einen trotz hoher Auflage eher unangepassten Duktus kultivierte. Hierzulande damals nur vom Intro-Magazin, der Visions oder Groove stilistisch ähnlich umgesetzt. »Was ich vor allem aus diesen Magazinen zog, waren eher meine eigenen Folgerungen und Vorstellungen: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in der Select über einer Seite grübelte, die ein Dutzend Gong-Reissues bewarb – auf die Titel und Cover starrend, versuchte ich mir vorzustellen wie Gong wohl klingen (und lag komplett daneben). Ohne zu dramatisieren, aber du konntest halt nicht einfach online gehen und den Sound eines Künstlers checken, also bedeuteten die Worte damals so viel mehr, manchmal alles. Gibt es aufregendere Momente im Leben als die zwischen dem Kennenlernen und dem letztlichen Hören einer interessanten Platte?«

Für genau solche Momente wurde und wird Blackest Ever Black in ganz Europa unter Connaisseuren abgefuckter respektive berauschender Klänge geschätzt. Doch als Anfang 2018 das abstrakt faszinierende »Sekundenschlaf« des angeblich westrussischen Arbeitslosen Fedor Servolenko aka тпсб erschien (der wahrscheinlich eher das Pseudonym eines ulkigen Kölners namens Gregor ist, bei Soundcloud als Tut Ench Armut registriert), ahnte niemand wie nah das Label dem endgültigen Aus bereits war. Folgten doch in relativ kurzen Abständen »Enter Silence« der zu Unrecht kaum bekannten Space-Rock-Combo Bremen, ein grandioses Studiodebüt von Daniel Davies alias Ossia und das extrem gelungene Post-Punk-Revival »Positive Disintegration« der Berliner Diät, die durchweg sämtliche hauseigenen Qualitätsansprüche zur Gänze erfüllten – Blackest Ever Black schien mehr als bereit für die nächste Dekade. Doch dann war auf einmal Schluss.

V.A.
A Short Illness From Which He Never Recovered
Blackest Ever Black • 2019 • ab 21.99€
Die Gründe? Auch auf mehrfache Nachfrage wollte sich Kiran Sande zu ihnen nicht äußern. Vielleicht war es einfach der Stress einer nie endenden Subsistenzwirtschaft, der auf Dauer nicht mehr tragbar erschien. Letzter Release: Die tief traurige Kompilation »A Short Illness From Which He Never Recovered«, deren Titel zumindest Spekulationen über das Ende von Blackest Ever Black zulässt.

Experimentell bis Coil-artig in ihrer Tonalität, widmet Kiran Sande mit ihr das Finale seines Labels dessen Ansprüchen: Der Suche nach Entfremdung, dem Durchbrechen des Alltäglichen. »Ich denke – nein, ich weiß – es war Greil Marcus in einem seiner beängstigend leidenschaftlichen Punk-Essays, der über Musik schrieb, die selbst den Arbeitsweg einer Person verändert und mit allen anderen Vorgängen in Verbindung setzt, dadurch also den gesamten Lebensentwurf dieser Person infrage stellt. Ich bin noch nicht so schamlos zu behaupten, dass Blackest-Platten derartiges tun, nicht im Geringsten. Aber das ist das Ziel, die Ambition – und es ist die Einzige, auf die es wirklich ankommt«.


Die Schallplatten von Blackest Ever Black findest du im [Webshop von HHv Records](https://www.hhv.de/shop/de/blackest-ever-black-vinyl-cd-tape/i:D2I1L26809N4S6U9)