Arsivplak – Vergangenheit, neu aufgelegt

12.05.2021
Volga Çobans Label Arsivplak und das Edit-Projekt Arşivplak sind zwei Seiten derselben Medaille: Einerseits ist er Archivar von türkischem Funk, Disco, Pop, Rock und Jazz, andererseits wirft er ein neues Licht auf alte Klänge.

Schon der Name deutet an, worum es Volga Çoban mit seinem Label im Kern geht: »arşiv« bedeutet »Archiv«, »plak« heißt »Schallplatte«. Doch handelt es sich bei Arsivplak nicht ausschließlich um ein reines Reissue-Imprint, das rare Alben und Singles von Özdemir Erdoğan, Şenay und Grup Bunalım möglichst originalgetreu wieder auflegt. Denn unter dem Namen Arşivplak (mit ş) veröffentlicht der selbsternannte »Amateurmusiker, Drummer und Besitzer eines MiniKorg 700S« auch Edits und Neuinterpretationen türkischer Folk-, Funk-, Disco-, Pop- und Rock-Songs. Am Anfang stand im Jahr 2012 die EP »Turkish Disco Folk Volga Nehri«. »Derdiyoklar İkilisi haben den Disco Folk erfunden«, erklärt Çoban mit Verweis auf das legendäre Duo, die mit ihrem wilden Sound maßgeblich die rückblickende Rezeption der Musik türkischer Gastarbeiter*innen in der BRD prägten. »Ich habe nur das Wort ›Turkish‹ ergänzt.«

Somit grenzt sich Çoban einerseits von Labels ab, die sich rein darauf spezialisieren, die Musik von berühmten türkischen Künstlern wie Barış Manço, Selda Bağcan, Erkin Koray und anderen möglichst originalgetreu neu erfahrbar zu machen und betont andererseits, sich vor allem auf Veröffentlichungen zu konzentrieren, die direkt aus der Türkei kamen. Was wiederum nicht heißt, dass Arsivplak sich stilistisch einschränken würde. »Ich sammle seit über 25 Jahren Platten – Anadolu Pop, Pop, Rock, Folk, Jazz – aus den Jahren 1962 bis 1989, dem Jahr, in dem zum letzten Mal in der Türkei Vinyl gepresst wurde«, erklärt Çoban. »Heutzutage ist das unmöglich, weil türkische Musik so einen Popularitätsschub bekommen hat, damals aber interessierte sich niemand für Schallplatten.«

Während der neunziger und Nullerjahre, sagt Çoban, hätte sich das Publikum vor allem für ausländische Musik oder blutlose Popmusik interessiert. Seine Perspektive auf die Geschichte populärer türkischer Musik sei deswegen anders als die derjenigen Generation, die aktuell die Vergangenheit des Landes aufarbeitet: Er arbeitet kontinuierlich seine eigene Sozialisation auf. Und ist darüber vom Auskenner, der aus der Matrix einer Schallplatte mehr Informationen herauslesen kann als andere aus dem Label, zum aktiven Archivar geworden.

Einerseits wird Arsivplak von Volga Cobans Geschmack als Fan und DJ geleitet, andererseits möchte er auch bisher ungehörte Klänge ans Tageslicht bringen.

Schon knapp ein Jahrzehnt, bevor er das Label gründete, verkaufte Çoban über eBay türkische Musik und vernetzt sich dementsprechend auch mit Künstler*innen. In einigen Fällen, lacht er heute, hätten die ihn bei einem Treffen zur Lizenzierung für ein Reissue auf Arsivplak gefragt, ob er nicht noch ein Exemplar von dieser LP oder jener Single für sie hätte. »Jedes Album, jede Single hat ihre ganz eigene Geschichte«, sagt er. »Nach Bunalıms Single ›Yeter Artık Kadın‹ habe ich zwanzig Jahre lang gesucht. Sie wurde ohne Einverständnis der Band veröffentlicht, es handelte sich um Demoaufnahmen.« Im Jahr 2017 gelang ihm aber der Coup und er konnte die zwei Songs neu auflegen.

Bei seiner Arbeit geht es Çoban, wie er betont, keineswegs darum, den anhaltenden Hype um die populäre türkische Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auszunutzen: Alle Einnahmen gehen immer direkt in das nächste Projekt, Arsivplak ist ein Nullsummenspiel. Vielmehr wird er einerseits von seinem Geschmack als Fan und DJ geleitet, andererseits möchte er auch bisher ungehörte Klänge ans Tageslicht bringen. »Ich habe den kürzlich verstorbenen Seyhan Karabay mehrmals in der Türkei besucht und wir beschlossen, eine Compilation mit seinen Stücken zu veröffentlichen«, erinnert er sich an ein denkwürdiges Ereignis. »Dafür wollte er nicht einmal viel Geld haben. Vielmehr noch schickte er uns sogar unveröffentlichte Stücke und Demos. Hätten wir die nicht veröffentlicht, hätte niemand jemals von ihnen erfahren!«

Diese Vermittlungsarbeit beschränkt sich allerdings nicht allein auf die bloße archivarische Arbeit, sondern eben auch auf das Schaffen unter dem Künstlernamen Arşivplak. Zwei Alben mit Edits sowie eine Handvoll EPs sind unter diesem Namen seit dem ersten Erfolg von »Turkish Disco Folk Volga Nehri« im Jahr 2012 erschienen. Im Jahr 2016 veröffentlichte Arsivplak »Moog Edits«, vier Jahre später folgte mit »Mirror« ein ganz besonderes Projekt: »Dafür habe ich Edits editiert!« Nach dem titelgebenden Spiegelprinzip werden Psych-Funk und Disco-Folk aus einer neuen Perspektive präsentiert, als Wiedergänger aus der Vergangenheit, die sich noch einmal ganz anders präsentieren als die Musik, mit der Çoban aufgewachsen ist. Denn wenn auf Arsivplak die Vergangenheit neu aufgelegt wird, dann dezidiert aus einer gegenwärtigen Perspektive heraus.