Review

Alva Noto & Ryuichi Sakamoto

Glass

Noton • 2018

In New Canaan, Connecticut, einer der wohlhabendsten Gegenden des pittoresken Neuenglands, steht Philip Johnsons Glass House. Der prägende Architekt der Nachkriegszeit baute es 1949 und lebte dort bis zu seinem Tod 2005. Das Glass House ist ein Quader, der in scharfem Kontrast zu seinem Umfeld steht, einer großen baumbestandenen Wiese am Hang mit Blick zum Horizont. Die Wände und Türen des Hauses bestehen vollständig aus Glas. So entsteht eine weitestmögliche Entkopplung von Innen- und Außenwahrnehmung in Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer, die alle in einem einzigen Raum Platz finden. Johnson selbst beschrieb es als »permanent camping trip«. Seit 2007 ist das Gebäude für die Öffentlichkeit zugänglich. Zur zehnjährigen Feier dieser Öffnung wurden die Langzeitkollaborateure Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai alias Alva Noto eingeladen, in dieser besonderen Umgebung zu improvisieren. Das Duo erhielt 2015 viel Aufmerksamkeit für ihren Soundtrack zum Wildwest-Abenteuer-Epos »The Revenant«. Während der in Karl-Marx-Stadt geborene Nicolai inzwischen eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden innehat, sitzt der Japaner Sakamoto in diesem Jahr in der Wettbewerbsjury der Berlinale.

Für ihre Performance »Glass« nutzten Sakamoto und Alva Noto ein Keyboard, Mixer, Glasschüsseln und Crotales, eine Art von Zimbeln. Vor allem aber experimentierten sie mit den gläsernen Wänden, brachten Kontaktmikrofone an und bearbeiteten sie behutsam mit Gongschlägern und Händen. Das Ergebnis ist ein sanft rauschendes, knapp 40-minütiges Stück, das seine Dramaturgie aus dem Zusammenspiel von Innen und Außen, das dieses Haus ermöglicht, zu nehmen scheint. Zu Beginn der Session brach ein Regenschauer los, wie Kuratorin Irene Shum beschreibt. Im weiteren Verlauf wurde der Regen von einem dramatischen Sonnenuntergang abgelöst, bevor alles in tiefschwarze Nacht gehüllt wurde. Während die Performance sich langsam von einer Geräuschcollage zu etwas fast Melodischem verändert, meint man den Wandel von Licht und Schatten draußen über das reine Hören wahrzunehmen. Das Glass House verschafft so Möglichkeiten, die ein von der Außenwelt abgeschotteter Konzertraum nie geben könnte. Alva Noto und Ryuichi Sakamoto wissen sie zu nutzen.