Review

Ryuichi Sakamoto

12

Commmons • 2023

Oscar, Grammy, Golden Globe – alles gut und schön, aber gegen persönliche Schicksalsschläge versinkt auch die höchste Auszeichnung in Bedeutungslosigkeit. Das musste der gefeierte Pianist und Komponist Ryuichi Sakamoto auf die harte Tour lernen, als bei ihm 2014 zum ersten Mal Krebs diagnostiziert wurde. Zurückgeworfen auf die eigene Sterblichkeit begann Sakamoto während einer zweieinhalbjährigen Therapie, eine Art Tontagebuch zu führen. Diese minimalistischen, rauen Kompositionsskizzen für Piano und Synthesizer tragen als Titel das jeweilige Entstehungsdatum und geben als spontane Momentaufnahmen so tiefe wie intime Einblicke in Sakamotos Seelenleben.

Je nach Tagesform kann das wehmütig oder kontemplativ klingen, Traurigkeit oder Entrücktheit ausdrücken. Stets ist da aber diese zurückgenommene Würde. Statt mit theatralischem Bombast die großen Gefühle auszulösen, denkt Sakamoto mit diesen subtilen Fragmenten über die eigene Vergänglichkeit und auch über sein künstlerisches Vermächtnis nach. An der weit verbreiteten Phrase, dass wahre Kunst oft durch Leid entsteht, scheint im Fall von »12« tatsächlich etwas dran zu sein. Auch und gerade schwere Lebensphasen können offensichtlich die Produktivität steigern und künstlerisch nutzbar gemacht werden. Dass der 71-Jährige dieses Tontagebuch weiterführen will, ist deshalb eine gute Nachricht.

Wie erst nach Redaktionsschluss dieser Review bekannt wurde, starb Ryuichi Sakamoto am 28. März 2023 an den Folgen der Krebserkrankung.