Review Hip-Hop

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Descendant Of Cain

Iron Works • 2020

Tape des Jahres 2024

Wenn er nicht gerade einige der virtuosesten Bars und Beats der Ostküste entwirft, arbeitet Kaseem Ryan Vollzeit als Feuerwehrmann, der in seinem Viertel Brownsville, New York wöchentlich Leben rettet. Dass er diesen Umstand ebenso wenig an die große Glocke hängt, wie die poetische Qualität seiner Alben, spricht für ihn. Schließlich zählte er im vergangenen Jahrzehnt nebenbei noch zu den tatsächlich herausragenden Vertretern seiner Zunft, realisierte mit »The Night’s Gambit« und der Animoss-Collab »Orpheus Vs. The Sirens« quasi zwei der wichtigsten Auteur-Alben der jüngeren Hip-Hop-Geschichte und kollaborierte regelmäßig mit Untergrundgrößen wie Roc Marciano oder Preservation (ein Feature auf GZAs 2008er »Pro Tools« rückt da fast in den Hintergrund). Alles nur Vorspiel. Denn mit »Descendants Of Cain« erschien Anfang Mai nun sein fünftes Album (zunächst nur digital), das in haargenau 33 Minuten den technischen und lyrischen Zenit eines waschechten Sprachkünstlers dokumentiert, jenseits von Autotune oder Melodyne, losgelöst von den Trends seiner Zeit. So beschränken sich die Beats meist auf sauber selektierte Instrumental-Loops, der Bass bleibt mehr Kontra als E und auf ein Minimum reduziert oder kaum wahrnehmbar. Es dominieren körperliche Saiten und Tasten, Streichersamples, ein sediertes Schlagzeug, resignative Deadpan-Raps, eine auktoriale Perspektive aufs rauschartige Stadtgeschehen, gespickt mit mythologischen Referenzen, dem Titel entsprechend natürlich vor allem aus dem biblischem Brudermythos von Kain und Abel – der erste Mord unter Menschen. Den Abkömmlingen Kains begegnet Ryan während seiner Arbeit in den Straßen New Yorks täglich, hat mit Brandopfern und gewaltbereiten Cops ebenso wie mit mordenden Kids zu tun, erlebt und fühlt das Elend, über das er rappt, noch am eigenen Leib. Als Zeuge des Zerfalls, als Emcee, der sich nicht in eine Gated Community zurückgezogen hat, verhandelt er hier in elf Tracks die moralphilosophischen Dispositionen, den Status Quo einer sukzessiv kollabierenden Kultur und verbindet diese Beobachtungen mit einem scheinbar unendlichen Fundus pointierter Gleichnisse. Von Corona bis George Floyd, von grassierendem Sozialdarwinismus bis Gangkriminalität und perversen Konsumexzessen, von Trump bis Epstein, von flächendeckenden Hungerlöhnen bis zum nie gestillten Hunger des Kapitals und seiner Jünger begleitet »Descendants Of Cain« die konsequente Verwahrlosung der USA wie kein anderes Album dieses Jahr.

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