Review

Pose Dia

Simulate Yourself

R.i.O. • 2023

In Hamburg wurde Pop schon immer etwas anders gedacht als anderswo, angereichert mit schrägen Ideen und Spurenelementen weit entfernter Genres. Auf ihrem zweiten Album als Pose Dia singt Helena Ratka zwischendurch vom »centre at the turning point« und das beschreibt auf programmatischer Ebene ihren musikalischen Ansatz: Diese neun Stücke sind im Abbiegen begriffen, das Ziel ist das Leftfield – und trotzdem sind sie noch nicht ganz angekommen, bewegen sich immer noch durch die Verlaufskurven des Prinzips Song. Das passt zu einem Album, das mit dem Titel »Simulate Yourself« gleichermaßen zeitgenössische Identitätsverwirrungen aufruft, wie es eine theoretische Tradition von Denker:innen der Postmoderne – Baudrillard, anyone? – aufruft. Ratkas Schaffen als Solo-Künstlerin weist bis hin zum dunkel-rauchigen Gesang einige Überschneidungen mit der Musik auf, die sie gemeinsam mit Sophia Kennedy als Shari Vari produziert, ist aber gleichzeitig von den Clubkontexten geprägt, aus denen sie als DJ kommt: Hier und dort werden Electro-, IDM- oder Rave-Einsprengsel hörbar, wie sie in der spirituellen Homebase Golden Pudel gerne goutiert werden, dort ziehen sich Wave-Elemente wie ein schneidiger Wind durch die Stücke. Anders als viele ihrer Zeitgenoss:innen lässt sie die Welt der Simulationen und Simulacra keineswegs hochglänzend klingen, sondern erschafft kalt-metallische Strukturen mit porösen Oberflächen – lo-fi, low-res, low spirit. Das käme einem Understatement gleich, wenn Ratka sich nicht fluchend, schreiend und bisweilen leidend als Sängerin durch diese Cyberpunk-Sound bewegen würde. Wenn also nicht noch im Kern der Song stehen würde, sich Ratka im Verlauf von »Simulate Yourself« nicht zunehmend direkter und ungefilterter zeigen würde. So klingt das Unbehagen in einer ganzen Kultur.