Richard Lamb klemmt sich eine rote Rose zwischen die Zähne, zieht den Gummibund an der Faltenhose enger und lässt den Synthesizer qualmen. Für die nächsten 30 Minuten gibt’s Tango Mortale als Afterwork-Drink zur Happy Hour – oder hat sich da glatt einer vorgenommen, das jährliche Don-Buchla-Gedächtnisklimpern mit einem Synthi-Album einzubimmeln? Nicht schon wieder, will man sich in Großbuchstaben aufs Steißbein tätowieren. Aber zu spät. Der kanadische Musiker Richard Lamb, der eigentlich nicht so heißt, sondern im Telefonbuch von Montreal unter dem coolen Bob-der-Baumeister-Namen Richard Ryan Wenger zu finden ist, hat sich drei Jahre lang hinter seine glucksenden Maschinen gesetzt, auf Tasten herumgedrückt, an Knöpfen geschraubt – und siehe da: sechs Stücke komponiert, die exakt so klingen, als wären sie in der Vergangenheit auf dem wegen Arschlochhaftigkeit eingestellten Label 1080p Records aus Vancouver erschienen. Puh, langer Satz. Viele Infos. Aber das musste raus. 1080p hat die kanadische Musiklandschaft von 2013 bis 2016 geprägt. Khotins Beam-mich-zurück-nach-1984-Alben hätten vielleicht nie das Licht der Welt erblickt. Lrndcroy hätte sein Tape-Knistern niemals unter knackige Kicks aus der 707 gemischt. Der hazy House-Sound aus dem Westen von Kanada – er wäre nicht dagewesen. Und hätte Musiker wie Wenger nie dazu gebracht, durch boreale Nadelwälder zu ziehen, Trips einzuschmeißen und gewonnene Erkenntnisse am Synthesizer in eigene Klanglandschaften zu gießen. Die Platte von Richard Lamb pickt jedenfalls am jüngsten Kanada-Sound wie Ahornsirup an Blueberry-Pancakes. Gleichzeitig blubbern Drexciya geradewegs aus ihrer utopischen Unterwasserwelt empor, treffen auf dem Weg zufällig auf die Kraut-und-Rübenrocker von Harmonia und entscheiden sich gemeinsam, in der Dunkelheit des Atlantiks auf bessere Zeiten zu warten. Wann die kommen, keine Ahnung! Aber solange der »Automatic Tango« sich nicht wegrationalisiert, ist Geduld die allerschönste Tugend.
Automatic Tango