Ausklang | New Music Friday – Neue Musik von LGoony, Hieroglyphic Being et al.

18.09.2015
Woche für Woche picken wir Tracks, die uns in den vorausgegangenen sieben Tagen nicht aus dem Kopf gehen wollten, deren Release auf den heutigen Tag fällt oder einem anderen Pseudogrund unterliegen.

»Civilization That Is Dying« by Hieroglyphic Being & J.I.T.U. Ahn-Sahm Buhl
taken from Hieroglyphic Being & J.I.T.U. Ahn-Sahm-Buhl’s new LP »We Are Not The First«, out October 30th on RVNG Intl.

Die gute Nachricht: Kunze ist endlich wieder da. Niemand weiß, wo er war oder ob er sich auf seinen Reisen auch mal die Haare gewaschen hat, wir aber freuen uns trotzdem. Die schlechte: Die Zivilisation stirbt. Behaupten zumindest Jamal Moss und J.I.T.U. Ahn-Sahm Buhl, ein Ensemble, das sich neben Liturgy-Drummer und Fetthaarikone Greg Fox auch den aktuellen Sun Ra Arkestra-Leader Marshall Allen umfasst und damit die Stoßrichtung klar gen outer space definiert. Verlassen die Ratten also das sinkende Schiff? Oder wechseln sie nur die kosmische Hausnummer? Egal. Fieberhafte Jazz-Rhythmen, Analog-Schnurren, Earth-Gedenk-Gitarrenglitzern und eine expressive Vocal-Performance, wie ich sie zuletzt so gekonnt bei Higuchi Keiko gehört habe. Wir sehen uns im letzten Speakeasy vorm Ende des Universums wieder! KC
»Angel Of Porn II« by Nicole Dollanganger
Als ich, Kunze, zurückkam, sah’s in meinem Kühlschrank aus wie in Silent Hill. Der aktuell beste Schimmelbefall-Galore-O.S.T stammt von einer Stimme, die gleichzeitig unangenehm nach Einschulung und Nymphomaniac klingt: Nicole Dollanganger heißt die Dame dahinter. »My room smells like rotten food and I guess so do I« beginnt sie ihren Song und ich finde wiedermal Halt und Mitgefühl in den völlig falschen Sphären. Ach ja, und die Gute kann nicht nur außerirdisches Leben in Kühlschränken vertonen, sondern (so im dazugehörigen Musikvideo) auch die Eisschloz-Orgie einer emotionalisierten Biker-Gang. Strong. PK
»Doing You Wrong« by Trust Image
taken from Trust Image »Rory’s World«, out today on cassette and digitally
Ein Song wie das Vorher/Nachher-Bild meines Kühlschranks übereinander gelegt: Einerseits ist das hier wuseliger Jungle, hinterhältig und dunkelgrün, gleichzeitig strahlen einem aus dem Track aber auch die Synths entgegen, warm und hell eröffnet sich einem der Anblick auf zwei Bier, eine Milch und eine Leberwurst. Ich liebe Leberwurst. PK
»Extrovert Them« by Son Of
Wenn die Synths auf »Doin You Wrong« Leberwurst sind, dann ist »Extrovert Them«…ach, keine Zeit für Lebensmittelmetaphern. Son Of jedenfalls liefert auf Opal Tapes den Helena Hauff Track nach, der gerne noch auf »Discreet Desires« vor dieses beatlose Finale hätte gepackt werden können. Alles da hier, von den unvermiedlichen kaltwelligen Synths bis zum Drexciya-Drumkit in der Beginner-Version. Klingt nicht spektakulär, geht aber immer. Ah, Moment: eine Salami von einem Track. FA

»Dream ’15« by Jam City
taken from Jam City’s new EP »Earthly Versions«, out October 1st on Night Slugs

Night Slugs-Releases klingen für mich immer wie eine Überdosis Gummiwürmer: Irgendwie ganz geil, aber dann zuviel und letzten Endes Bauchweh mit Ekelgefühlen. Ist vermutlich aber meine Schuld. Das hier zum Beispiel ist eher New Order-Reanimation im Post-Grime-Step-Gewand: Ein bisschen Pathos-Rock mit drin, ein bisschen viel laszives Leid und Overall-Peinlichkeit, die sich nichts schämt. »Dream ’15« ist Understatement-befreit und hat Bock drauf, nach dem Bumsen eine Runde zu weinen. Hätte Ben Khan nach seiner ersten EP diesen Weg eingeschlagen, anstatt sich zu wiederholen, ich würde heute noch meine Träume von ihm in die Bettdecke schießen. Und was geht eigentlich bei New Order? KC
»Best Friend« by Young Thug
taken from his new mixtape »Slime Seasons«, available for [free download here](http://www.livemixtapes.com/mixtapes/34905/young-thug-slime-season.html)
Stichwort Gummiwürmer: Young Thug sieht für mich irgendwie aus wie einer. Irgendwie fremd, grotesk fast. Und wenn er auf seinen Songs in Bestform ist, dann klingt er sogar wie einer. Farbenfroh und abartig kann man ihn sich doch mit nur einem Zug einverleiben, diesen glitschigen, artifiziellen Sound. PK

»Constantly My Cure« by Avalon Emerson
taken from Avalon Emerson’s new EP »shtum009«, out now on shtum

Einen Abturner stellte für mich die neue Avalon Emerson-EP dar, das aber nur im ersten Moment. Es ist gerade das Tolle an der, wie sie eingangs den Watergate-Deckenfloor mit belanglos bouncender Kick andeutet und den Touris mit lakonischen Vocals im nächsten Moment das überteuerte Bier aus der Hand reißt. Nichts aber mit hands up: »Constantly My Cure« setzt zwischen Belanglosigkeitsclubkulturreproduktionsmechanismen und Popsensibilitätenvermeidungsstrategien einen fetten, eigenwilligen Akzent. Mit unaufdringlichem Acid, Non-Anthem-Piano und Nudel-FX-Gitarren-Sounds, die allem Punk den Finger zeigen ohne sich für Prog erwärmen zu können. Wie auch immer Avalon Emerson das macht, sie macht es richtig. KC

»Sosa (feat. Harry Quintana)« by LGoony
taken from LGoony’s new Tape »Grape Tape«, out now

Und bevor der Cornils hier das nächste 40-Buchstaben-Monstrum reinballern kann, lassen wir doch noch schnell LGoony zu Wort kommen. Der hat zwar noch nie ein Wort benutzt, das länger wäre als Swarovski-Steine, aber genau deswegen ist »Sosa« auch wichtig, irgendwie. Natürlich ist das im Endeffekt weiterhin nur Leanismus von Jungs, die bei der Kölner Oberbürgermeisterwahl in vier Wochen vermutlich kichernd ein Kreuz für Team Sheeesh machen werden, aber verdammt: solche Beats hat in Deutschland seltsamerweise immer noch keiner. Und wenn Harry Quintana noch die ganzen Bieberallüren eines Mario Götze in einem Nebensatz so präzise auf die Schippe nimmt, wie ich das trotz zahlloser Versuche bisher nicht ansatzweise geschafft habe, dann kann man ja mal beginnen an das Goonyverse zu believen. FA